Zweifellos ist Zoderer ein scharfer Beobachter, aber er formuliert keine Thesen. Seine Wahrheiten entspringen vielmehr einer Heuristik des Herzens, die alle Tier- und insbesondere Hundeliebhaber auszeichnet und Uneingeweihte bisweilen befremdet. Nur wer selbst einen Hund besitzt, ihn morgens und abends pflichtbeflissen ins Freie führt, ihn krault und gelegentlich ermahnt, ihm nachgelaufen ist und seine jugendlichen Eskapaden immer wieder verziehen hat, wer also den Hund als Mitglied der Familie oder vielleicht sogar als besten Freund zu schätzen gelernt hat, wird sich zu Zoderers Versen hingezogen fühlen und erahnen, weshalb ein vernunftbegabtes Wesen auszurufen vermag: „Ich möchte ein Hund sein,/um ohne Schuld/zu sein.“
Der verhaltene Charme dieser Worte zielt auf die anthropozentrische Arroganz der vielen und kritisiert subtil die eingefleischten Proponenten der humanistischen Tradition. Darf man denn, ja, kann man denn das Tier in seiner Geistlosigkeit über den Menschen stellen, der allein über Gut und Böse zu befinden hat? Gottlob weiß es Zoderer besser, denn er liebt seinen Hund, personifiziert ihn für die Literatur, schreibt ihm Empathie und allerlei edle Eigenschaften zu, die unsere Zeitgenossen so oft vermissen lassen. Vertiefen wir uns in Zoderers Gedichte, dann fällt auf, wie ähnlich Mensch und Hund einander sind und dass sie vermutlich deshalb wie füreinander geschaffen sind. „Du warst verdammt/zur Treue“, notiert der Dichter, der die Sprache seines tierischen Freundes nicht spricht, sehr wohl aber dessen Gesten und tiefe Blicke zu deuten weiß. Wie schön spiegelt sich da die „Freude“ im oft beschworenen „Freund“, der die Ankunft des Dichters „mit einem Schuh im Maul“ auf eigenwillig liebevolle Weise feiert!
Mit diesem Tier, das so viel von seinem „Herrn“ und nichts von seiner eigenen Sterblichkeit weiß, übt sich der Dichter im Fortgehen ein und sieht mit jedem Abschied den endgültigen, letzten voraus, der wie eine bittere Frucht von Mal zu Mal reift: „Im kreisenden Tanz/feierst du mich/deinen Freund/der dich später/in den Tod wird streicheln.“
Wer sich den Hund zum Freund erkoren hat, muss nämlich wissen, dass ihn dieser nur eine kurze Strecke begleiten können wird. Deshalb steht es dem lyrischen Ich zu, jenes schmerzliche „Du warst“ und „Du hast“ dem verblichenen Freund gleichsam ans Grab zu tragen. Aber ist Freundschaft hier wirklich der angemessene Begriff? Handelt es sich nicht eher um Liebe? Hundephilosophen mögen sich über derlei Nuancen den Kopf zerbrechen, feine Unterschiede also, die auch Zoderer nicht verborgen geblieben sind: „Ich war/dein Freund/[…]/Du warst/mein Freund/aber doch ein Hund.“
Keineswegs leugnet der Dichter, dass sein Alter Ego trotz aller menschlichen Züge der sprachlose Andere bleiben muss. Das stumme und doch so eloquente Gegenüber wird niemals in der Sprache der Menschen reden, niemals Liebesgedichte vortragen oder gar verfassen. Zu den Hundenärrischen aber wird er, der Vierbeiner, sich als verlässlicher Partner gesellen, ihre Zuwendung suchen und erwidern. Vielleicht lieben wir Hunde, weil sie uns vom Paradies, von jener verlorenen und den Romantikern besungenen Einheit von Mensch und Natur künden. Aber auch von einer Zeit, da Lüge und Verrat noch nicht erfunden waren. Bedenken wir dies und vieles mehr, dann leuchtet ein, weshalb Zoderer seinen Lyrikband mit dem Gedicht abschließt: „Warum warst du/ein Hund/und ich/ein Mensch.“
Dass sich der Haymon-Verlag dieser berührenden Lyrik angenommen hat, ist ein Zeichen der Hoffnung und beweist, dass ästhetische Qualität auch im grellen digitalen Zeitalter Bestand haben kann.