#Roman

Hurensohn

Gabriel Loidolt

// Rezension von Klaus Kastberger

Was soll man von einem Buch halten, das mit einem solchen Geständnis beginnt; eingebettet in einen Tonfall zwischen Emphase und Lakonie: „Ich habe meine Mutter umgebracht, meine allerliebste Mutter! Gestern wurde ihre wunderschöne Leiche auf dem Zentralfriedhof beerdigt. Ich habe alles stumm verfolgt und wie jeder Trauergast auch irgendwann eine Schaufel voll Erde auf ihren Leichensarg plumpsen lassen. Als ich dann zum Grab vortrat, fühlte ich wieder meine Ferse schmerzen, die ich mir in der Nacht des Mutterverbrechens blutig gerieben habe. Trotzdem hat mich alles sehr beeindruckt: […]“ (S. 5)

Es ist der zärtlichste und sanfteste ‚Mutterverbrecher‘ der Welt, den Gabriel Loidolt in seinem Roman porträtiert. Das Buch heißt Hurensohn, und damit ist schon sehr viel über die Hauptfigur, den 20jährigen Ozren gesagt. Das Kind ist im Grazer Rotlichtmilieu aufgewachsen; seine Mutter ging eben dieser Profession nach, wollte den Bub nicht in ihrer Nähe haben, schob ihn zu Onkel und Tante, später ins Puff ab, wo er die Séparées zu putzen hat und bald danach zum Darling der Damen avanciert.

Loidolts Hurensohn ist ganz aus der Perspektive der Hauptfigur erzählt. Einen besonderen sprachlichen Reiz birgt dies auch deshalb, weil es sich bei Ozren um ein geistig zurückgebliebenes Kind handelt, dessen Macke sich u. a. in einer sehr speziellen Wortfügungstechnik äußert. Der Junge ist ein Meister des redundanten Kompositums; Wörter wie „Sanitätsgesundheit“, „Raubbanditen“, „Erzeugerkunden“, „Espressobohnenkaffee“, „Schießrevolver“, „Uhuvogel“, „Autoblechschweine“ oder „Busblechschweine“ gehen ihm ansatzlos über die Lippen; die eigene Mutter scheint stets etwas „nervennervös“.

In verzerrter Optik tritt in Hurensohn auch die zweite Ebene des Buches zu Tage: der Reflex, den der jugoslawische Krieg in Südösterreich auslöste. Die Familie von Ozrens Mutter ist hautnah am Geschehen dran, Tante Ljiljana stammt aus Kroatien und salbt das Kind mit ihrem religiösen Eifer ein; Großonkel Ante (früher ein Seemann auf den Weltmeeren, nunmehr ein Müllmann in Graz) hält in seiner blumigen Sprache wirkungsvolle Bilder bereit. „Wie Fliegenpilze nach einem Blutregen“ seien die Kriminellen allerorts aus dem Boden gewachsen. Überaus finster sehen auch Ozrens Verwandte aus, die zum Begräbnis der Mutter anreisen: Cousin Branco aus Jasenovac mit Splitternarben im Gesicht, ein richtiger „Serbenfresser“; der grauhaarige Slobo mit vier goldenen Eckzähnen, ein Messerspezialist, der in Vukovar wochenlang wie eine Tigerratte in Kanalgängen gehaust und gekämpft hat. Das Kind fürchtet sich zu Tode und erwartet für sein „Mutterverbrechen“ die Lynchjustiz.

Im Verlaufe des Textes wird klar, daß die Anfangssequenz nicht unbedingt den kriminalistischen Tatsachen entspricht; am subjektiven Schuldempfinden Ozrens ändert dies nichts. Es ist ein ‚Muttermörder als ob‘, der uns in „Hurensohn“ begegnet; dieser konjunktivistische Dreh macht den Reiz des Buches aus. Wie der reine Tor steht Ozren vor den Dingen; stets ist es die Wahrheit, die der junge Mann spricht.
Über weite Strecken geht dieses literarische Konzept auch wirklich auf. Gerade dort, wo er sich der stärksten stilistischen Manierismen bedient, führt der Text das Umschlagen naiver Weltsicht in Erkenntnisgewinn vor, das seltsame Ensemble der Loidoltschen Komposita ist dafür das beste Beispiel.

Was in Loidolts Buch beschrieben wird, geht indes auch über die Grazer Verhältnisse hinaus. Ozren sitzt in einem „Gehörgang des Weltohrs“ und nimmt von dort aus etwas wahr, das der österreichischen Literatur in dieser Form bislang gefehlt hat, ein fernes Echo aus „Kummerbalkanien“.

Gabriel Loidolt Hurensohn
Roman.
Berlin: Fest, 1998.
155 S.; geb.
ISBN 3-8286-0046-8.

Rezension vom 13.06.1998

Originalbeitrag. Für die Rezensionen sind die jeweiligen Verfasser:innen verantwortlich. Sie geben nicht notwendig die Meinung der Redaktion wieder.

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