Er, der einst aus Wien ohne Maturazeugnis verjagte Gymnasiast, der über ein Jahrzehnt in den südamerikanischen Andenstaaten verbrachte, setzt trotzdem österreichische und jüdische Themen als Forschungsschwerpunkte. Aber er will nicht fragen, wer Jude und wer Nichtjude war, sondern wie sich solche Dinge in der Literatur spiegeln. Wie man sein Judentum empfinden konnte, ist uns aus Heines Spott bei der Eröffnung des neuen Israelitischen Hospitals zu Hamburg 1843 wohlbekannt:
„Für Menschenkinder, welche dreifach elend
Behaftet mit den bösen drei Gebresten,
Mit Armut, Körperschmerz und Judentume!
Das Schlimmste von den dreien ist das letzte“ (63-4)
Viele empfanden ihr Achtel, ihr Anteil an jüdischem Blut (Hofmannsthal, 169) auch wirklich als Makel – man denke an Hofmannsthals empörten Protest, als er 1922 in das Buch „Juden in der deutschen Literatur“, hrsg. von Gustav Krojanker, aufgenommen wurde. Franz Werfel kannte den perfiden Brief Rainer Maria Rilkes an Marie von Thurn und Taxis 1913 nicht, wo vom „Judenbub“ Werfel die Rede ist, schlau, mit der „Verlogenheit der jüdischen Mentalität“… und was Rilke noch so an antisemitischen Klischees parat hatte. Dies obwohl er Werfel so oft in Dresden und Hellerau gesehen hatte und so freundschaftlich mit ihm umgegangen war. Obwohl Werfel gerade diesen Brief nicht kannte, hat er sein Judentum am eigenen Leib als Unglück erfahren: „le malheur d’etre juif“, „Ich war also Jude! Ich war ein Anderer! Ich war nicht ein Mensch wie alle“ (160). Werfels unvollendete, 1926 datierte Erzählung „Pogrom“ deutet Schwarz als literarisches Meisterwerk, das für das Verständnis der Judenfrage bei Werfel eine Fundgrube sei.
Antisemitismus als Ausgangspunkt – Paradigmen eines grenzenlosen Antisemitismus – hier werden Dührings „Die Judenfrage als Racen-, Sitten und Kulturfrage mit einer weltgeschichtlichen Antwort“ (1881) und Edouard Drumonts „La France juive“ (1886) verglichen, wobei noch hinzuzufügen wäre, daß innerhalb eines Jahres 114 Auflagen von „La France juive“ in Frankreich erschienen. Neun Jahre vor dem Dreyfus-Prozeß, der, wie Schwarz vermerkt, ohne Drumont vielleicht einen anderen Verlauf genommen hätte.
Haben die Juden einen „Beitrag“ zur deutschen Literatur geleistet, fragt Schwarz. Zeugt diese heute so häufige Fragestellung nicht bereits vom „Unguten“ des Philosemitismus, so daß Unbefangenheit zwischen Juden und Nichtjuden erst recht nicht möglich ist? (55) Wie kann man nach der Shoah definieren, wer Jude ist und wer nicht? Und er kommt zu dem Schluß, daß sie (die Juden) nicht nur einen „Beitrag“ zur deutschen Literatur geliefert, sondern vielmehr zusammen mit vielen anderen deutsche Literatur geschaffen und gestaltet haben. (73)
Eine nachdenkliche, facettenreiche Sammlung von Aufsätzen, die man jedem an der Thematik interessierten nachdrücklich empfehlen kann.