Nun ist im luftschacht Verlag, der heuer sein 15-jähriges Jubiläum feiert, ein ähnliches Buch erschienen: Im Inneren des Klaviers von Mario Wurmitzer. Der im Jahr 1992 geborene Mistelbacher (Niederösterrreich) ist seit seiner Jugend ein umtriebiger Schreiber: Er hat Auszeichnungen bei unterschiedlichen Literaturwettbewerben erhalten und bereits im Jahr 2010 seinen Jugendroman Sechzehn im Treibgut Verlag veröffentlicht. Der in Wien lebende Schriftsteller ist nicht nur in der Prosa bewandert, sondern schreibt ebenso preisgekrönte Dramen, die ihre Uraufführungen bei verschiedenen Festivals gesehen haben.
Doch zurück zum Roman Im Inneren des Klaviers. Wir befinden uns in einer phantastischen Welt, die zunächst mittelalterlich anmutet: So begegnen uns Burgen, Könige, Ritter. Doch existieren auch anachronistische Elemente, etwa Klavier, Saxophon und Wundpflaster.
Der namenlose Ich-Erzähler und Künstler, der vor der engstirnigen Dorfbevölkerung geflohen ist und sich im Wald versteckt, trifft eines Tages auf Nelly, die Tochter des Königs. Doch sie verschweigt ihm zunächst ihre Herkunft. Sie ist nämlich vor dem König und Vater geflohen und möchte sich den Partisanen anschließen, die sich in den Wäldern aufhalten sollen. Allerdings hat der Künstler die vermeintlichen Partisanen nie gesehen. Als ihr gemeinsames Wald-Versteck nicht mehr sicher ist, fliehen sie ins Nachbarreich, in die Hafenstadt Port Robinson. Da diese inzwischen ein Vasallenreich des Vaters von Nelly ist, werden unsere zwei Helden beim Eintritt in die Stadt festgenommen. Der Kommissar hat Nelly als Königstochter erkannt. Sie wird abgeführt und gefoltert, während der Ich-Erzähler leugnet, Nelly je gekannt zu haben. Verrat oder Selbstschutz?
Der Ich-Erzähler wird nach dem Verhör in die Stadt entlassen und betritt ein Gasthaus, wo Rebellen verschwörerische Versammlungen abhalten. Der Künstler schildert dem Rebellenanführer Max, dass Nelly festgenommen sei. Dabei wird schnell klar, dass Max der Sohn des Kommissars ist, er prophezeit, dass Nelly bald frei sein werde. Gesagt, getan. Nicht nur sie – die ganze Stadt wird kurzerhand von den Rebellen befreit. Das Ironische: Der Ich-Erzähler und Nelly machen bei dem Aufstand nicht mit, wie sie dies versprochen haben, und fliehen Richtung Berge. Allerdings werden sie kurz darauf von Max und dessen Rebellionsfreunden aufgefunden und zurück in die Stadt verschleppt. Denn der neue Herrscher Max braucht Nelly, um den König zu erpressen. Dabei kommt es zu weiteren absurd-skurillen Entscheidungen …
Trotz des märchenhaft-anmutenden Plots erinnert der Text auch an einen Schelmenroman. Wir begleiten dem naiven, sich im Laufe der Handlung nicht weiterentwickelnden Erzähler auf seiner Flucht und begegnen mit ihm kriegerischen Auseinandersetzungen, Gewalt, Missgunst und Verrat. Dies verstärkt sich durch Übertreibungen, Absurditäten und surreale Elemente.
Apropos Absurditäten: Der König und Vater von Nelly hat in seinem Reich die Éducation sentimentale eingeführt: Als Vorbild gelten die Romane der britischen „Liebesschmonzetten“-Schriftstellerin Rosamunde Pilcher. Billiger Kalauer? Oder doch ein humorvoller Einfall, mit dem sich Wurmitzer in beste parodistische Tradition stellt, beispielsweise eines Henry Fielding, der Samuel Richardsons sentimentale Romane, etwa Pamela, aufs Korn nimmt?
Oder muss man Wurmitzers Text insgesamt als Parabel lesen, wie es der Verlag vorschlägt? Ein skeptisches „vielleicht“. Denn die spannendere Frage ist: Eine Parabel worauf? Soll dieser Text eine Parabel etwa auf die neue rechtsgerichtete österreichische Regierung und den allgemeinen Rechtsruck in Österreich darstellen? Wohl kaum. Aber vielleicht hat Wurmitzer eine Parabel auf die Stellung und das Verhalten des Intellektuellen und Künstlers in gesellschaftlichen Umbruchzeiten geschrieben. Während im eingangs erwähnten lesenswerten Calvino-Roman der Intellektuelle Position bezieht, scheint es, dass Im Inneren des Klaviers der Künstler bzw. Intellektuelle sich aus der Verantwortung stiehlt. Letztlich eine Parabel auf die unpolitischen, mutlosen Künstler seiner Generation?