#Roman

Irrlichterloh

Arno Geiger

// Rezension von Anne M. Zauner

Der junge Vorarlberger Autor Arno Geiger veröffentlicht nach seinem Überraschungserfolg „Kleine Schule des Karusselfahrens“ (1997) seinen zweiten Roman, wieder bei Hanser.

Irrlichterloh heißt das neue Buch, und es beginnt mit einer wunderbaren kleinen Szene. Einige Nachtschwärmer geistern durch eine Einbahnstraße; sie sind ausgelassen, überdreht, verspielt. In den kleinen Nachtstunden kann ihnen nichts geschehen, kurz vor der Morgendämmerung sind sie wie die Kobolde vor der realen Welt sicher – ein magischer Augenblick.
In dieser Stunde beginnt die Liebesgeschichte zwischen Jonas und Ann-Kathrin; und endet die Szene.
Die eigentliche Geschichte hat kein Happyend. Drei Jahre sind vergangen und die große Liebe scheint sich erschöpft zu haben.

Das ist der Auftakt zu einem rasanten Roadmovie. Jonas ist hinter Ann-Kathrin und Caspar Zelzer, dem neuen Geliebten, her, die Galeristin Ira Constantin hinter den dreien, das exotische Postfräulein Noemi läuft aus Lust an der Aufregung mit, und alle fünf jagen das „Rauchende Mädchen“ – vielleicht das Bild eines alten Meisters, vielleicht eine Fälschung. Die Handlung ist ein wenig verworrener, als hier skizziert, denn Arno Geiger läßt seine Figuren gern tanzen. Die Möglichkeitsform liegt dem Autor näher als die vollendete Tatsache. Also müssen sich seine Geschöpfe verstricken und Haken schlagen. Hinter ihrem aufgeregten Gezappel verbirgt sich jedoch nur schlecht ein tiefes Unbehagen mit sich und der Welt. Sie sehnen sich ganz altmodisch nach etwas Echtem, Wahrhaftigem, aber es reicht nicht, sie sind Gestalten, die sich auf liebenswert-neurotische Art in ihr Unbehagen eingenistet haben. Bei all dem Wirbel, den sie erzeugen, bei all der Aufregung, in die sie sich stürzen, bleiben die Geigerschen Helden statisch; sie entwickeln sich nicht.

Ihre größte Angst ist die Angst vor Banalität; Alltäglichkeit ist ihr Fluch. Auch der Hauptfigur Jonas Kreuzer geht es nicht anders; trotzig versucht er aufzubegehren, seiner nagenden Unzufriedenheit Gestalt zu verleihen, aber er erschöpft sich in Lausbubenstreichen. In der Nacht durchstreift er die Straßen und verändert Verkehrszeichen ins Groteske: Geschwindigkeitsbeschränkungen auf 17,34 km/h, oder er malt fliegende Hexen in Fahrverbotsschilder. Letztlich ist auch er ein Nachtschattengewächs, dessen viel beschworene Liebe zu Ann-Kathrin, wie die Frauenfigur selbst, von ihm zwar behauptet wird, aber keinen Ausdruck findet.

Obwohl die Gestalten in „Irrlichterloh“ kaum dreidimensional werden, erzeugt der Autor eine Atmosphäre, die sich stimmig zu einem Lebensgefühl verdichtet, für das Woody Allen zum Synonym geworden ist: Arno Geiger beschwört die Welt der modernen Zivilisationskranken, der Stadtneurotiker, und gewinnt dem Phänomen auch eine österreichische Dimension ab. So kippen seine Figuren schnell aus dem Großstadt-Dorf Wien in das verlassene Dorf Österreich, stoßen auch geografisch sofort und nachhaltig an Grenzen und das allgemeine Gefühlschaos spiegelt sich stimmig in den vorbeiziehenden Stadt- und Land-Szenerien. Der Wehrmutstropfen von „Irrlichterloh“ ist die Sprache. Obwohl sich der Autor um den abgründigen Humor bemüht, den seine Figuren verdienen, auch um Leichtigkeit, wo es die Situation erfordert, gelingt es ihm nicht immer, sein Werkzeug, die Sprache, zu beherrschen. Zu sehr bemüht er sich um originelle und souveräne Sätze.

Und die Anstrengung, die sie ihn kosten, bleibt an ihnen haften: sie wirken gehemmt. Was einfach ausgedrückt werden kann, bekommt oft einen überflüssigen Schnörksel verpaßt. Besonders deutlich wird dies in den Gesprächspassagen: sie wirken streckenweise sehr künstlich; ihre Lässigkeit aufgesetzt. Die Galeristin Ira Constantin spricht etwa auf Seite 113 folgendermaßen mit Jonas Kreuzer: „Ich habe Ihnen schon in der Früh gesagt, was sich zwangsläufig erwiesen hat, daß alles immer dasselbe ist und die Welt ein subtiles Gleichnis und daß Sie klug sein müssen oder sein hätten müssen. Sich innerhalb der Gegebenheiten zu organisieren, egal, zu welchem Zweck, sich Regeln zunutze zu machen anstatt notorisch gegen sie zu verstoßen, ist für einen wie Sie leider die Möglichkeit, die am Ende meistens unbedacht geblieben ist.“ Manchmal, zugegeben selten, passieren auch unglückliche Sätze wie: „Frauen sind nicht wie Rom, wohin alle Wege führen, sogar beschildert.“ (S. 54f.) oder „In einer Lücke über den westlichen Ausläufern der Stadt versucht die Sonne ein letztes Mal, auf die Beine zu kommen.“ (S. 130) Trotzdem – ich habe Irrlichterloh gerne gelesen. Mir gefallen die Irrungen und Wirrungen der Figuren, die ein wenig komischen und ein wenig traurigen Gestalten, und das Tempo der Geschichte ist schlicht mitreißend.

Arno Geiger Irrlichterloh
Roman.
München, Wien: Hanser, 1999.
198 S.; geb.
ISBN 3-446-19779-6.

Rezension vom 15.09.1999

Originalbeitrag. Für die Rezensionen sind die jeweiligen Verfasser:innen verantwortlich. Sie geben nicht notwendig die Meinung der Redaktion wieder.

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