Die unter dem Titel Jahrhundertdämmerung zusammengefasste Neuausgabe bereits publizierter Aufsätze illustriert ein Segment der Forschungsinteressen Fischers: die eng miteinander verknüpften Fragen des Frauenbildes der Jahrhundertwende, dargestellt etwa an den Verführungs- und Erlösungsmythen der Oper, und der jüdischen Fremd- und Selbstbilder im Kontext von Antisemitismus und „jüdischen Fremdhass“, beides Fragen, die Leben und Werk Gustav Mahlers und Richard Wagners tangieren; aber auch die Möblierung der Jahrhundertwende, die Gewaltbereitschaft der Intellektuellen 1914 und die urbanen Lebensformen der Künstler in Berlin, München und Wien.
Die Lektüre des Bandes liefert viele überraschende Leseerlebnisse: den Vergleich des Wohnstils des „bescheidenen“ Theodor Fontane, des „spartanisch-naiven“ Anton Bruckner, des „Gutsherrn“ Giuseppe Verdi, des „Sammlers“ Sigmund Freud und des „Aufsteigers als Meister“ Richard Wagner. Dass der Vorwurf des „Mauschelns“ sowohl der Musik wie auch dem Dirigierstil Mahlers gemacht wurde, ist aufschlussreich und legt für den nicht auf Mahler spezialisierten ebenso Zeugnis vom beeindruckenden Wissen Fischers ab wie die fast lexikalische Übersicht der Verarbeitung der Undine-/Melusine-/Loreley-Stoffe von Eichendorff bis zum Erfinder der Gestaltpsychologie, Christian von Ehrenfels.
Das Projekt „hinter die aufgetürmte Gelehrsamkeit zurückzutreten und sich dem Text“ der behandelten Werke zuzuwenden, wird allerdings selten eingelöst und konkurrenziert sich selbst mit dem, das „Panorama“ der angerissenen Probleme abzuschreiten. Die Schwerpunkte, die Fischer in seiner Sammlung setzt, sind heterogen: gelegentlich stellt er ein Problem vor, referiert zugespitzt die Lösungsvorschläge der Forschung und stellt an Hand eines Einzelfalles eine überraschend neue Facette dar. Gelegentlich wiederum – etwa in der Darstellung des therapeutischen Gesprächs zwischen Freud und Mahler in einem mehrstündigen Spaziergang durch die Straßen der holländischen Stadt Leiden (ein Aufsatz, den der holländische Kardiologe A. J. Dunning in seinem erfolgreichen Buch „Extreme“ kräftig und ohne Quellennennung benützt hat) – konzentriert er sich auf eine einzelne Person oder ein Ereignis.
Die Aufsätze sind vom Anlassfall und dem Ort ihrer ersten Publikation geprägt: Katalog, Programmheft, Literaturgeschichte und Sammelband zu relativ weiten Problemstellungen. Trotz der Überarbeitung respektieren die Texte die Regeln des Genres ihrer Erstpublikation – dazu gehört auch eine normierte Kürze, die gelegentlich Überlegungen am entscheidenden Punkt in einer fast flüchtig zu nennenden Weise abbrechen lässt und zum nächsten Fallbeispiel übergeht. Fischer spricht an einer Stelle sinngemäß von einer „minimalen Andeutung“. Es gehört zu diesem Verfahren, dass die zitierten Quellen leider nicht ausgewiesen sind. Der älteste in die Sammlung aufgenommene Texte ist über zwanzig Jahre alt – das ist, gerade in einem derart forschungsintensiven Gebiet, wie es die Jahrhundertwende darstellt, ein recht hohes Alter. Manche Aufsätze, die Fischer hier vorlegt, waren zu ihrer Zeit Pionierarbeiten, sind heute aber durch Monographien eingeholt.
Die versprochene Neubearbeitung wird am Literaturverzeichnis sichtbar, doch stellt sich die Frage, ob die Forschungen Georg Bollenbecks, Sander Gilmans und Gerhard Scheits – um nur einige zu nennen – nicht gewissen Fragestellungen eine neue Vielfalt und Tiefe aufgezwungen haben, die in dieser Publikation ausgespart bleibt. Trotz dieses Mangels und obwohl die Textsammlung den „roten Faden“ weitgehend vermissen lässt, liefert sie doch gute Übersichten zum Einstieg in die behandelten Themen.