#Roman

Jedermanntod

Manfred Baumann

// Rezension von Monika Maria Slunsky

Mit Pathos werden wir im Prolog von Jedermanntod auf einen hochdramatischen Kriminalfall eingestimmt, der sich am Zenit der Salzburger Festspiele ereignet: am 31. Juli, mitten im sommerlichen Vorstellungsreigen. Auf der Jedermann-Bühne vor dem Dom zu stehen, davon träumen gewiss viele Schauspielerinnen und Schauspieler. Nicht davon geträumt hat Martin Merana, aber als Kommissariatsleiter bleibt ihm an jenem Montag keine andere Wahl.

Er ist die Hauptfigur von Manfred Baumanns Krimidebüt und steht als routinierter Ermittler vor einer Herausforderung: „Der Tod“ wurde ermordet, die Tatwaffe ist ein Renaissance-Dolch in Kopie und der Tatort die Jedermann-Bühne. Das Who is Who der Kulturszene steht unter Tatverdacht. Der rote Faden des Theatervorhangs löst sich in Jedermanntod auf, dabei wird uns ein exklusiver Blick auf den Menschen hinter Maske und Kostüm eröffnet.

Grübelt Merana über einen Fall, dann arbeiten keine grauen Zellen, sondern fallen Dominosteine. Er ist ein Bastler, der alle Fragestellungen überprüft, bis sich das Gedankenkarussell im Kreis dreht. Sein ambivalentes Verhältnis zur Festspielstadt lässt ihn touristische Hochburgen zwar mit Vorbehalt, dennoch genießen. Ambivalenz kennzeichnet auch Meranas Charakter, wenn er gewissenhaft arbeitet, zugleich seinen Vorgesetzten hintergeht, wenn er wert auf Teamarbeit legt, aber den Ehrgeizling der Abteilung ausschließt und wenn er als stiller Beobachter plötzlich die Fassung verliert. Merana ist nicht fehlerlos, eben menschlich und von Manfred Baumann sympathisch angelegt. Wir erfahren viel Persönliches über den 43jährigen Pinzgauer, dass seine Frau verstorben ist, dass er seine Freundin liebt, aber noch Distanz braucht, und dass er italophil ist.

Der abschweifende Erzähler berichtet über familiäre Schicksalsschläge und Biografisches der Nebenfiguren. Weniger das Handeln als das Verhalten der Personen steht im Vordergrund. Zuweilen leidet die von einem Krimi zu erwartende Spannung darunter. Alles an diesem Fall ist „theatralisch“, dieses Wort repetiert Merana (zu) oft. Die Theatralik steigt proportional zum Ermittlungsfortgang. Er kann sich der faszinierenden Theaterwelt nicht entziehen, weshalb ihn kurzzeitig sein Instinkt verlässt. Der vornehme Kreis der Verdächtigen reicht vom hinterlistigen Kulturmanager über die schwindsüchtige Schauspielerin bis zum scheinheiligen Rechtsanwalt. Sie alle stammen aus dem persönlichen Umfeld des Opfers, dem gefeierten Darsteller „des Todes“ im „Jedermann“: Hans Dieter Hackner. Alleine durch Zeugenaussagen entsteht ein herrliches Charakterbild von einem genialen, in die Jahre gekommenen Schauspieler, der innerlich ewig Kind blieb, aber nach außen hin den Despoten gab. Die Entlarvung des Mörders ist überraschend.

Meranas Zynismus gefällt: Pointiert setzt Manfred Baumann Bemerkungen, die sich in den Gedanken seiner Hauptfigur gegen arrogante Karrieristen, die Obrigkeit an sich und alles Oberflächliche richten. Mit Selbstironie begegnet er seinem Berufsstand, den Journalisten. Als langjähriger Leiter der „Kreativ-Redaktion/Programmgestaltung“ im ORF-Landesstudio Salzburg weiß der Journalist, wovon er erzählt, beispielsweise von einer Kulturjournalistin, die Inoffizielles verrät, von Pressekonferenzen der Polizei, die einem „Hornissenstock“ (S. 223) gleichen, sowie von Schlagzeilen, die den falschen Mörder verkünden. Kommissar Merana ärgert besonders die „Publicitygeilheit“ (S. 38) am Tatort. Manfred Baumann gönnt sich Spitzzüngigkeit.

Die Ermittlungen dauern eine Woche. Die Kapitel sind exakt nach Datum und Uhrzeit eingeteilt. Im Laufe der Lektüre drängt sich der Gedanke auf, dass sich der telegen strukturierte Roman gut für eine österreichische „Tatort“ TV-Folge eignen würde. Erzählzeit ist die Vergangenheit. Anspielungen und Zitate lockern längere Phasen der Deskription auf. Manfred Baumanns Sprache ist an den Alltagsjargon angelehnt und weist einen sich wiederholenden Wortschatz auf. Die reale Verortung steht in Kontrast zum theatralischen Inhalt. Der allwissende Erzähler von „Jedermanntod“ blickt einerseits aus der Vogelperspektive auf die Kriminalgeschichte, andererseits kennt er die Gedankenspiele seiner Hauptfigur allzu gut.

Der Mord ist aufgeklärt, unbeantwortet bleibt eine spannende Frage: Wie viel Wahrheit über das bunte kulturgesellschaftliche Treiben zur Festspielzeit steckt in Jedermanntod? Es ist alles frei erfunden, wird vorab versichert, aber der persönlichen Auslegung sind eben keine Grenzen gesetzt. Für uns gilt es nun abzuwarten, ob Merana ein zweites Mal Ermittlungen von solcher Brisanz aufnehmen wird, die ihn an seine persönliche Grenzen bringen.

Manfred Baumann Jedermanntod
Ein Salzburg-Krimi.
Meßkirch: Gmeiner-Verlag, 2010.
372 S.; brosch.
ISBN 978-3-8392-1089-5.

Rezension vom 23.12.2010

Originalbeitrag. Für die Rezensionen sind die jeweiligen Verfasser:innen verantwortlich. Sie geben nicht notwendig die Meinung der Redaktion wieder.

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