Drum blickt er auf Seite drei auch schon ganz traurig und betreten zu Boden in seinem rechten Winkerl, während sich rundum das Volk vergnügt. Bei den anderen Kindern hat er auch kein Glück. Sie alle wollen einmal Schuster, Schneider oder Schweinebauchhändler werden und lassen Jörgi rechts außen liegen, wenn er seinen Berufswunsch über die Wiesen schreit: „Drachentöter!“ Seine Zeit ist noch nicht gekommen, alle lachen ihn aus.
Aber der kleine Jörgi gibt nicht auf und macht sich tapfer auf den Weg ins Schloss, um seine Dienste anzubieten. Aber siehe da, der einzige Drache im Land ist der König! Macht nichts, dann muss eben der dran glauben. Gewappnet mit Kochtopf und Lanze hat Klein-Jörgi das Zentrum der Macht betreten, aber bei Hofe hält man ihn trotz seiner Waffen nur für einen amüsanten Narren. Mag er bleiben, auf dass er allen Vergnügen bereite. Aber es kommt ganz anders …
Gerhard Haderer und Leo Lukas haben den Versuch unternommen, eine Politsatire in Bilderbuchform zu schaffen. Sie interpretieren die österreichische Innenpolitik als ein Märchen vom Drachen und vom Drachentöter, der selbst wieder zum Drachen wird, „weil der Thron und die Krone den Drachen machen“. Eine Parabel, die wohl auf einen guten Teil aller Machtübernahmen in der Geschichte der Menschheit anzuwenden wäre. Das Neue wird bald wieder zum Alten – und alt ist auch diese Erkenntnis.
Was nun eigentlich als Binsenweisheit abzutun wäre, haben Gerhard Haderer und Leo Lukas zum Zentralmotiv von „Jörgi, der Drachentöter“ erkoren; und wie zu erwarten, wirkt die Geschichte auch zunächst enttäuschend platt. Aber neue gesellschaftsphilosophische Einsichten kann man von einem Bilderbuch wohl schwerlich verlangen, oder? Dieses hat jedenfalls andere Qualitäten. Aber die sind auch nicht zu unterschätzen.
Zum einen ist es den Autoren gelungen, die Geschichte tatsächlich auf zwei Ebenen zu konstruieren – die Story funktioniert als unschuldiges, von der Tagespolitik meilenweit entferntes Märchen ebenso wie als Politsatire und wird durch ein optimistisches Happyend tatsächlich kindgerecht. Zum anderen liegt die Würze in den Details und den Bildkompositionen. Haderer kennt die Physiognomie der österreichischen Politiker ebenso gut wie Asterix und Obelix, deren Einfluss auf so mancher Seite sichtbar wird.
Besonders gut gelungen sind die sanfte Prinzessin, die einer gewissen ehemaligen Volksanwältin erstaunlich ähnlich sieht, und der Prinz mit dem Mascherl, Jörgis wichtigster Verbündeter. Einen Oscar für die beste Nebenrolle könnte man eventuell dem Nachtwächter verleihen, der, angetan mit einer rotweißroten Schärpe, verschlafen und recht finster blickend, Jörgi schließlich Einlass gewährt in die Burg, ins Innerste der Macht. Sehr vorteilhaft präsentieren sich auch die Statisten, die Bewohner des Hinterwaldes, die Jörgi stets die Treue halten und ihm Rückendeckung geben, als er seine Pläne in die Tat umsetzt – und ihre Parolen sind wie aus dem Leben gegriffen, aus der Stammtischvariante desselben.
Nicht zuletzt ist die gewählte Form des Gleichnisses wohl ebenfalls als Seitenhieb zu verstehen. Denn abgesehen von ihrer Verwendung in religiösen Texten, mit denen „Jörgi, der Drachentöter“ schwerlich in Zusammenhang gebracht werden kann, waren Parabeln ja stets ein beliebtes Mittel, nicht systemkonforme Texte an der Zensur vorbeizuschmuggeln. Und manche Politiker neigen heutigen Tages bekanntlich gerne dazu, kritische Stimmen mit Gerichtsverhandlungen aller Art zu überhäufen … Parallelen zu aktuellen Ereignissen sowie Ähnlichkeiten mit real existierenden Personen sind weder beabsichtigt noch zufällig, sondern schlicht unvermeidlich.
Über Risiken und unerwünschte Nebenwirkungen informieren Sie sich bitte bei Ihrem Steuerberater oder Anwalt. Viel Spaß!