#Roman

Kalypso

Michael Köhlmeier

// Rezension von Susanne Zobl

Homer brauchte dafür nur 493 Verse, Köhlmeier 442 Seiten. Die Rede ist vom wohl faszinierendsten Gesang der Odyssee, dem fünften. Doch ist er tatsächlich der faszinierendste oder ist es nicht viel eher Michael Köhlmeier, der dies mit seinem Roman Kalypso oder vielmehr mit dessen Personen suggeriert?
Vielleicht werden erst durch seine Erzählung von dieser Liebesgeschichte, von der man bis am Ende eigentlich nicht wirklich weiß, ob sie tatsächlich eine solche ist, diese Figuren aus der griechischen Mythologie so sympathisch?

Kalypso ist „die Phantasie für alle Maße, die je an Frauen gelegt werden“. Odysseus, der Held, der Kämpfer, ist ihr völlig ausgeliefert. Als Schiffbrüchiger wird er von Kalypso geborgen, gepflegt und umsorgt, bis er endlich genug Kraft hat, um es mit ihr zu treiben. Denn Odysseus, der als exemplarischer Mensch den Göttern als Studienobjekt dient, ist in der Tat ein Erzähler, vor und nach jedem Mal muß er seiner Kalypso eine Geschichte bieten. Anfänglich tut er dies, um sie zu kriegen, später wird ihm das Erzählen jedoch lästig. Überdrüssig wird er der Nymphe jedoch keineswegs, auch dann nicht, wenn er nach dem soundsovielten Geschlechtsakt den Macho hervorkehrt. „Nur noch dieses eine Mal“, dieser Satz läßt den Helden und Troja-Kämpfer immer wieder zu seiner Nymphe zurückkehren, immer wieder und das sieben Jahre lang.

Wie bereits in seinem Vorgängerroman „Telemach“ setzt Köhlmeier auch hier nach Lust und Laune Anachronismen ein. Anything goes, so lautet seine bewährte Methode. Denn der Vorarlberger Erfolgsschriftsteller schert sich um nichts. Weder darum, ob es Sinn macht, daß sein Held sich und seine Frau Penelope im Mercedes zur Geburt ihres Sohnes Telemach fahren läßt, oder darum, ob es sich für einen griechischen Helden gehört, seiner gebärenden Frau den Rücken zu massieren, noch darum, daß seine Nymphe für ihren Odysseus in die Stadt einkaufen geht.

Athene und Hermes können ungestört in die Comic-Figuren Calvin und Hobbes schlüpfen und Kalypso mit Odysseus beobachten.

Köhlmeier hält sich bei seiner Odyssee-Bearbeitung nicht zwingend an die Reihenfolge der Gesänge des Homer, sondern baut die Odyssee auf seiner ihm eigenen Logik auf. Dies ist nicht nur legitim im postmodernen Sinne, sondern hat auch System. Denn erst durch die Umstellung wird die diffizile Aufarbeitung der psychologischen Entwicklung seiner Helden möglich.

Es ist unglaublich, wie locker Köhlmeier erzählt und dabei so tief in das Innere seiner Helden vordringt, um das Verhältnis von Mann und Frau behutsam, bis in kleinste Details und doch neu zu erzählen.

Michael Köhlmeier Kalypso
Roman.
München: Piper, 1997.
445 S.; geb.
ISBN 3-492-03965-0.

Rezension vom 13.08.1997

Originalbeitrag. Für die Rezensionen sind die jeweiligen Verfasser:innen verantwortlich. Sie geben nicht notwendig die Meinung der Redaktion wieder.

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