Zwischen den Zeilen von Kmunkes Reisebericht „Quer durch Uganda“ (1913) ließe sich heute so manche tragische Geschichte herauslesen. Der Salzburger Tausendsassa Max Blaeulich, seines Zeichens Autor, Antiquar, Herausgeber und bildender Künstler, geht mit dem historischen Material anders um: Trashig statt tragisch, so lautet die Devise seines Romans Kilimandscharo zweimeteracht, einer grellen Satire auf die altösterreichische Expedition. Er lässt vier Forscher namens Krumpke, Stackler, Weiss und Kranich zu einer Reise aufbrechen, die nichts Geringeres im Sinn hat, als das Terrain für die Kolonie „Österreichisch-Uganda“ zu sondieren. Die Idee ist nicht ohne Witz und der Roman durch den geschickten Einsatz von Rückblenden spannend erzählt. Die augenzwinkernden Parallelen zur tatsächlichen Expedition sind zahlreich, von den Namen der Forscher bis zu den Ausrüstungsgegenständen, wie einem im Planschbecken getesteten Faltboot der k. u. k. Kriegsmarine. Selbst der Name von Stacklers großgewachsenem Diener und Träger Kilimandscharo, der dem Roman den Titel gibt, ist keine Erfindung.
Bei der Gestaltung seiner Figuren hat Blaeulich allerdings tief in die Klischeekiste gegriffen: Krumpke ist ein tyrannischer Waffennarr, Stackler ein sexuell gestörter Rassist auf der Jagd nach afrikanischem Sperma, Weiss träumt von afrikanischen „Nuditäten“ und Kranich würde am liebsten einen ganzen Eingeborenenstamm ausstopfen. Was diese Karikaturen von sich geben, klingt dementsprechend: „Du füllen unsere Gläser, du nix träumen, du fauler Hund sein, und faulige Hund kriegen eins mit der Peitsche – zack“, oder „Du Negertrottel, machen das und das.“ Brachial-humoristische Effekte sind in diesem Roman wichtiger als Glaubwürdigkeit. Die Dialoge zielen auf möglichst derbe Pointen ab, die die Herren Travnicek, Karl oder Strudel vor Neid erblassen ließen, etwa wenn Stackler den Vorschlag, Zwergwüchsige in Koffern mitzunehmen, mit den Worten ablehnt: „Die ersticken uns, und dann haben wir das Gscher mit der Veterinärpolizei in Wien!“.
So unsympathisch wie seine Figuren ist auch der Erzähler des Romans. Distanziert oder ironisch prangert er zwar immer wieder die Menschenverachtung der Kolonisateure an, was ihn aber nicht daran hindert, Zoten auf demselben Niveau wie diese zu reißen, Stacklers inzestuöses Sexualleben mit den Worten zu kommentieren, dass es „die Mutter doch am besten machte“ oder Kranichs Nuditäten als „wirkliche schwarze Perlen“ zu beschreiben.
Solche Passagen sorgen für zunehmendes Unbehagen beim Lesen, wogegen prinzipiell nichts einzuwenden wäre, könnte man ein klares Ziel hinter der derart erzeugten Irritation erkennen. Der Roman wirkt jedoch über weite Strecken so, als wären erzählerisches Temperament und die Lust an der grotesken Pointe mit dem Autor durchgegangen. Er stellt nicht nur die Österreicher so primitiv wie möglich dar, sondern lässt auch bei Beschreibungen der „Wilden“ kein Klischee aus. Ob er sich der kolonialistischen Sichtweise, die er bloßstellen will, selbst immer entziehen kann, ist fraglich. Warum muss Krumpke beim Besiegeln eines Vertrages mit den Bageshu, die „jeden fressen“, von einem menschlichen Unterschenkel abbeißen, und dabei von den Kannibalen aus „gierigen, rotunterlaufenen Augen“ angestarrt werden? Muss sich der mitgeschleppte schwarze Diener angesichts der dekadenten Wiener Gesellschaft, die in jedem Afrikaner einen Menschenfresser sieht, tatsächlich denken: „Welch dumme Menschen sind doch diese Weißen. Mich wundert nicht, wenn sie gefressen werden.“?
Österreich gegen Uganda, das ist Brutalität. Der Effekt des satirischen Amoklaufs dürfte nicht der erwünschte sein: man lehnt sich bei der Lektüre bald beruhigt zurück, da man weiß, dass die Wirklichkeit so schlimm nicht gewesen sein kann. Diese Österreicher wären ohne Pauschalreise nicht einmal bis Triest gekommen, diese Afrikaner sind Ausgeburten europäischer Fantasie. Der eigentliche Zweck der Satire ist wohl ein anderer: Der Roman zielt darauf ab, dem Leser, sollte er lachen können, dieses Lachen im Hals stecken bleiben zu lassen. Die vertrottelten altösterreichischen Rassisten werden nämlich zu Wegbereitern des Nationalsozialismus. Führende NS-Ideologen lauschen nach seiner Rückkehr aufmerksam den Erzählungen Stacklers, der schließlich im Nazi-Reich an Kriegsgefangenen herumexperimentieren wird.
Nach knapp zweihundert Seiten ermüdendem Hardcore-Humor können diese bösen Aussichten nicht mehr für große Aufregung sorgen. Dabei sind die Anspielungen gar nicht weit hergeholt: So wie Kranichs Idee, Menschen auszustopfen, im 1848 verbrannten „Mohren von Wien“ ihr trauriges reales Vorbild hat, schufen Pseudo-Wissenschaften wie Stacklers „Rassenphysiologie“ tatsächlich einen fruchtbaren Nährboden für die Nazi-Ideologie. Dem Roman gelingt es jedoch nicht, die Kurve vom Klamauk zur Katharsis zu kratzen. Viel zu lange fuchtelt Stackler mit absurden Instrumenten wie seinem „Erektometer“ herum, viel zu oft schiebt er seinem afrikanischen Versuchskaninchen dann doch lieber einfach den „Stengel in den Arsch“, als dass man diese Witzfigur noch ernst nehmen könnte.
Im Wuchtelsumpf gehen leider auch die wenigen Passagen des Romans unter, die bar jeder Komik den Wahnwitz der Kolonisierung Afrikas spürbar werden lassen, etwa wenn Erinnerungsströme den mit Whisky ruhig gestellten Mann einer Prostituierten in eine Kindheit tragen, die von den blutigen Wirren der Kolonialkriege geprägt ist, oder in die Zeiten eines Eisenbahnbaus, der tausende Menschleben gefordert hat.
Das Anliegen von Blaeulichs Roman ist verdienstvoll. Seinen Lesern sollen verdrängte dunkle Seiten europäischer Zivilisation und ihrer fatalen Präsenz in Afrika vorgeführt werden. Sein Verfahren scheitert jedoch: indem er dem Blut- und Machtrausch der weißen „Entdecker“ einen Rausch an Zerrbildern entgegensetzt, stellt er die Mechanismen des Kolonialismus nicht bloß, sondern verstellt vielmehr den Blick darauf.