#Roman
#Debüt

Kindheitswald

Elke Laznia

// Rezension von Michaela Schmitz

„Es hält mich die Schrift der Hand“

Wie riecht Vergangenheit? Moosgrün wie der Kindheitswald? Oder staubgrau wie das Elternhaus, das seine Schatten nur nach innen wirft? Bloß selbst keine Schatten werfen. Die Treppe hinauf flüchten vor dem betrunkenen Vater, der weinenden Mutter auf der zu kurzen Küchenbank. Jahrzehnte später noch die schmutzigen Spuren der Kinderhände an den Wänden im Stiegenhaus. Oben blinde Fenster und der Kasten mit der Wandermariamuttergottes, die keiner will, nicht aus ihren Händen.

Das Dorf, das sind die anderen. Lassen sich bedienen von der Alleinmutter, die das verschuldete Geschäft des Weggehvaters weiterführt. „Stirb doch“, ist die späte Antwort der erwachsenen Tochter, als der Vater unheilbar an Krebs erkrankt. Als Kind bleibt sie stumm vor Schuld. Eine Schuld, die in Wahrheit seine ist. An Erinnerung bleibt ihr beinahe nichts. Nicht schwer fällt ihr daher die Unterschrift, die nach seinem Tod ihren Anteil am Haus dem Bruder überschreibt. Denn „mit leeren Händen geht sich’s leichter“.

So oder so: „Immer ist alles schon vorab ein Verlust.“ Selbst Liebe bleibt auch später die Geschichte von Männern, die immer wieder fortgehen. Am Ende bewohnt jeder nur die Fremdheit des anderen. Und bei jedem neuen Abschied bleibt die Frage unausgesprochen: „Wann sehen wir uns wieder?“ Sie gibt sich die Antwort selbst: „Sag nie mehr bald.“ Es sind die kleinen Lieblosigkeiten, die am schwersten wiegen.

Die Zeit heilt keine Wunden. Im Gegenteil: „Es ist immer alles heute.“ Und heute ist überall. Zum Beispiel auf der Schwelle des Krankenzimmers: hinter ihr ihr Leben, vor ihr der Vater, hinter ihm sein Tod. Oder unter dem zu tiefen Zaun des Nachbarn: die steckengebliebene Katze, halb erfroren mit stocksteifem Leib und starrem Fell. Und immer wieder in der Sprache; denn Sprache ist die Diktatur der anderen: „Ihr habt mir eure Worte in den Mund gelegt, sie mir in den Mund gestopft, ihn mir verschlossen damit für die eigenen.“

Trotzdem wird gerade die Sprache für die Erzählerin zum persönlichen Instrument der Befreiung. Auch wenn Geschichten nicht trösten und die Worte immer dieselben bleiben. Die pure Sinnlichkeit des Schreibens und der mit dem Stift gezeichnete Sprachkörper geben ihr Halt: „Es hält mich die Schrift der Hand, die Handschrift […] verfasst mir Kontur, und ich zerfalle nicht.“

Elke Lasznias Roman Kindheitswald entsteht aus genau dieser Ambivalenz. Sprache ist zwar Schmerztiegel lebenslanger Verwundungen. Doch Worte sind das einzige Mittel, den Verletzungen Ausdruck zu verleihen. Seelenarbeit ist daher hier vor allem Arbeit mit und an der Sprache. Werkzeuge und Techniken sind aus der experimentellen Literatur, vor allem aus der konkreten Poesie vertraut: Die Autorin arbeitet mit Staffelung, serieller Reihung, Wiederholung, Auslassung, Fragmentierung und Permutation.

Doch die Formen sind kein poetischer Selbstzweck. Sie stehen für Seelenzustände. Zum Beispiel die Auslassung: Ständig fehlt etwas. Etwas fehlt. Alles fehlt. Oft sogar die persönlichen Fürwörter. Ihr Auslassen ist Signal für das Fehlen individueller Ausdrucks- und Verständigungsmöglichkeiten. Oder die Wiederholung: „Die Worte sind dieselben. Immer.“ Was bleibt, ist, die alten Worte Mal um Mal neu zu wiederholen. Und dann die Permutation: „Es ist immer alles heute.“ Immer wieder wird das Leid durch sämtliche Zeitformen dekliniert. Die Austauschbarkeit von Vergangenheit, Gegenwart, Zukunft und Möglichkeitsform macht den individuellen Schmerz universal. Schlussendlich die Fragmentierung: „Als wäre nichts gewesen. Es ist nichts gewesen. Es ist nichts.“ Die Entropie der Sätze spiegelt eine Wirklichkeit, die sich der Sprecherin in stärkerem Maße entzieht, als es der Erzählerin gelingt, sie Wort für Wort festzuschreiben.

Wie Sisyphos müht sich die Erzählerin mit riesigen Sprachfelsen ab, die ihr am Ende doch immer wieder vor die Füße rollen. Elke Laznias Romandebüt Kindheitswald gleicht einer Art Frondienst an der Sprache. Die Schwere der Spracharbeit ist beinahe körperlich zu spüren. Jedes Wort wirkt wie herausgemeißelt aus einem Seelensteinbruch. Satzteile fallen Felsbrocken gleich in den Text. Türmen sich aufeinander, übereinander, untereinander und zerbrechen in kleinste Fragmente oder zerfallen der Erzählerin zu Staub. Staub wie jene Handvoll, die ihre Söhne in eine aus den Trümmern des Hauses geborgene Dose füllen, um sie, unter einem Autositz versteckt, als Erinnerung aufzubewahren. Genau das Gleiche gelingt Elke Laznia mit ihrer tiefgründigen literarischen Seelenkunde und poetischen Spracharbeit in ihrem ersten Roman. Laznias Kindheitswald ist ein emotional und sprachlich bewegendes Debüt.

Elke Laznia Kindheitswald
Roman.
Salzburg: Müry Salzmann, 2014.
128 S.; geb.
ISBN 978-3-99014-093-2.

Rezension vom 31.01.2014

Originalbeitrag. Für die Rezensionen sind die jeweiligen Verfasser:innen verantwortlich. Sie geben nicht notwendig die Meinung der Redaktion wieder.

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