Charakteristisch für diese Lyrik ist vor allem das Unwirkliche, Schemenhafte, das ja Erinnerungen tatsächlich oft anzuhaften pflegt. Hier werden diese Traum-Fetzen allerdings zu einem Alptraum zusammengesetzt, der immer beklemmender wird, je mehr sich das Mosaik verdichtet. Dies ist nun nicht zuletzt auch das Verdienst Otto Lechners, der Loidls Vortrag musikalisch interpretiert. Und wüsste man es nicht besser, man würde kaum glauben können, dass diese seltsamen, fast über- (oder eher unter)irdischen Töne einem Akkordeon entstammen können.
Das Buch selbst wird angesichts dieses akustischen Erlebnisses fast zu einem reinen Beiheft zur CD degradiert, das in erster Linie dem Nachlesen dient – oder einer Einstimmung darauf, was man zu hören bekommt; wie das Libretto zu einem Requiem, bevor die Verklärung der Kindheit endgültig zu Grabe getragen wird. Natürlich geht es auch um Freundschaft, um ein gemeinsames Entdecken der Welt, um das für den Heranwachsenden schier unergründliche Geheimnis Frau oder um verschwörerisches Tuscheln über erste Erfahrungen.
Aber neben den Blödeleien mit Schulkameraden stehen Strafarbeiten mit endlosen Wiederholungen: du sollst, du sollst, du sollst … Die Sexualität entfaltet sich ebenso in der „Blutwurst“ des Großvaters wie am Duft einer Frau, und die Geheimnisse werden begleitet von Schuldgefühlen. Die Schule scheint vom Religionsunterricht dominiert, und die Religion wird mitbestimmt vom Weihrauchschwenken hinter dem nackten Hintern des Pfarrers – was natürlich ein Geheimnis bleiben muss.
Als positives Element bleiben fast nur die Gerüche, meist unbestimmt, manchmal an konkreten Dingen festgemacht, frisch gewaschenen Socken, Gegenständen im Nimbus einer Frau – aber auch der Allerwerteste des Dieners Gottes auf Erden riecht gut. Was dieser Kindheit vor allem fehlt sind Wärme und Geborgenheit, sie werden überlagert von Autorität und Hierarchien. Und nicht zuletzt einer prinzipiellen Borniertheit (nicht nur) der Erwachsenenwelt, die jegliche Phantasie in (Wunsch)Träume verbannt.
Dialektanklänge und die Biographie des Autors positionieren diese „Erinnerungen“ in Oberösterreich, das aber wohl pars pro toto für viele Gegenden der Welt stehen muss. Loidls Interpretation neigt sich einmal mehr der Erlebniswelt des Kindes zu, dann wieder wird er zu einem nicht ganz unbeteiligten „Erzähler“, der die Vorgänge einem Kind gegenüber kommentiert, in der ein wenig herablassenden märchenonkelhaften Diktion eines Bekannten oder Verwandten, der sich bemüht, das Erziehungsobjekt an eine Sprache zu gewöhnen, die er selbst kaum beherrscht: das Hochdeutsche.
Christian Loidl und Otto Lechner ist es hier gelungen, eine Atmosphäre einzufangen, die einerseits sehr bedrückend ist, andererseits vielen von uns wenigstens in Ansätzen vertraut erscheinen wird. Sei es aus der Schule, sei es aus anderen Bereichen des sozialen Umfeldes. Ein Ausgeliefertsein an die Moralvorstellungen der Umwelt. Und es gibt hier nicht eigentlich Rebellion, das Kind ist Tabula rasa, formbarer Geist, der sich auch mehr oder weniger brav „erziehen“ lässt. Nachdem der letzte Ton der CD verklungen ist, bleibt noch der Stoßseufzer: Ein Glück, dass wir erwachsen sind!