#Prosa

Kollege M

Klaus Ratschiller

// Rezension von Florian Braitenthaller

„Er fand […], dass Namen die Welt ordneten und Spitznamen diese Ordnung umspielten, manchmal möglicherweise eine eigene errichteten, im Normalfall, ohne die allgemeine Ordnung der Namen zu verletzen.“ Michael Mitteregger unterrichtet Deutsch an einem Gymnasium und „M“ ist sein Spitzname. Spitznamen erweisen sich im Schulmilieu als Auszeichnung und Brandmal zugleich. Keinen Spitznamen zu haben, verweist auf Mittelmäßigkeit, und genau diese macht M zu schaffen.

Mitteregger erscheint als klassisch gebildeter, den Humboldt’schen Bildungskanon hochhaltender, Musik liebender Mensch, der aus Überzeugung Lehrer geworden ist und sich bemüht, dieser Überzeugung treu zu bleiben. Er ist Lehrer nicht von Beruf, sondern aus Obsession. Mit Kollege M legt Klaus Ratschiller ein komplexes Stück Literatur über Lehrersein, Bildung und Gesprächskultur vor.

Die Novelle spielt an einem einzigen Tag. In einer Konferenz treffen alle Deutschlehrer aufeinander, um sich über den Literaturkanon Gedanken zu machen. In Vorschau und Rückblenden wird ein komplexes Mosaik entworfen, das die Figuren M, Kollegin Elsbeth und Kollege Roth in seinem Zentrum hat. Geschildert wird primär aus der Perspektive Ms. Wie eine Kamera folgt der Erzähler dem Helden (Schule, Schularbeit, Konferenz, Nachhausegehen, Kaffeehaus, Zuhause, Korrekturarbeiten) und blickt ihm andauernd über die Schulter, in seinen Kopf und in die Seele.

Das Leben, in dem M sich eingerichtet hat, wird in dieser Konferenz vom jungen Roth aus dem Gleichgewicht gebracht, ohne dass M das gleich auffallen würde. Erst das Gespräch mit Elsbeth auf dem Heimweg und seine Reflexionen, als er zu Hause seinen Beschäftigungen nachgeht, stellen sein Lebenskonzept derart infrage, dass er sich plötzlich zu einer Entscheidung gezwungen sieht. „Neben ihr gehend schienen ihm jetzt knapp unter den Lehreroberflächen ganz andere Wesen zu warten, die daran waren aufzutauchen. Es berührte ihn unangenehm, wie er einem Gedanken nachhängend sofort wieder auf Roth traf.“

Dennoch bleibt die Handlung reduziert, das Erzählen selbst bewegt sich auf einer reflektorischen Ebene, auf der ein unüberhörbares Plädoyer für schöne Literatur wahrnehmbar wird. Eine Verdichtung, ein Kammerspiel mit Lehrer-Figuren, die sich im Prinzip auf eine einzige konzentrieren, M, den „Kollegen“. Der Erzähler breitet dessen Beobachtungen, Reflexionen, Gedanken, Gefühle und Empfindungen minutiös vor dem Leser aus, kommentiert ununterbrochen das Wahrnehmungsfeld und die Innenwelt seiner Figur.

Mit Elsbeth als Widerpart kommt eine weibliche Perspektive ins Spiel, die die männliche Ms in Bedrängnis bringt. „Sie war, wie man so sagt, die körperlichere von ihnen beiden. Mit Sicherheit befreiter und einfacher.“ M hingegen ist etwas skurril in seinem Ernst, seinen Idealen, seiner Obsession. Selbstzweifel plagen ihn, er bezeichnet sich „kokettierend“ als mittelmäßigen Lehrer – und stellt doch die höchsten Ansprüche an den Beruf.

So „[…] weiß man natürlich als Lehrer über nichts so wenig Bescheid wie über die Wirkungen des eigenen Tuns, die sich ja in der Regel erst später, oft erst lange nach der Schulzeit, einstellen, wenn überhaupt.“

Man erfährt so manches über die rivalisierende Kollegenschaft, über Lehrer, die um Sympathie von Schülern und Kollegen werben, sich in ihrer Tätigkeit bewähren wollen, ihren Beruf reflektieren. Dank subtiler Erzählweise, genauer Beobachtung und intelligenter Dialoge bringt Ratschillers poetisches Psychogramm den Lehrer, das unbekannte und weithin ungeliebte Wesen, als menschliches Individuum näher.

Klaus Ratschiller Kollege M.
Novelle.
Wien: Edition Atelier, 2009.
136 Seiten, gebunden.
ISBN 978-3-902498-29-8.

Verlagsseite mit Informationen über Buch und Autor

Rezension vom 28.01.2010

Originalbeitrag. Für die Rezensionen sind die jeweiligen Verfasser:innen verantwortlich. Sie geben nicht notwendig die Meinung der Redaktion wieder.

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