So schlimm die beschriebenen Leiden auch sein mögen, bleibt in der Literatur meist noch der eine Trost: Daß es nämlich das Schreiben war, mithilfe dessen das erlittene Schicksal, wenn nicht zu meistern, so doch als gangbares Fundament weiteren Lebens zu gestalten war. Die Literatur Hertha Kräftners macht mit solchen Hoffnungen Schluß: Die frohe Botschaft von der therapeutischen Wirkung des Schreibens wandelt sich hier in die gegenteilige Erkenntnis. Keine Therapie und eben auch nicht das Verfertigen von Literatur vermochten zu verhindern, was – laut Aussage von Freunden und Bekannten nicht zu verhindern war: Daß sich die Autorin im Alter von 23 Jahren mit einer Überdosis des Schlafmittels Veronal das Leben nahm.
Das Editionskonzept der Neuausgabe folgt einer These, die Gerald Bisinger in den 60er Jahren formulierte und derzufolge es sich bei Kräftners Schriften im eigentlichen um einen geschlossenen und zusammengehörigen Text, um etwas wie einen integrativen Roman, handeln würde.
Gattungsunterschiede werden vom Band Kühle Sterne übergangen: Statt dessen kommen Gedichte, Prosakurztexte, Romanfragmente, Tagebucheinträge und eben auch Briefe in der Chronologie ihrer Fertigung hintereinander zu stehen. Die Edition bietet den Vorteil, den Fluß des Schreibens und die darin statthabenden Entwicklungslinien zu zeigen. Andererseits wird an die literarischen Texte eine unmittelbar autobiographische Meßlatte gelegt. Genau dies war es, was mit Kräftners Literatur seit jeher geschah: Jedes Gedicht und jedes Prosastück schien dem Schicksal der Autorin untergeordnet zu sein. Was die früheren Herausgeber Otto Breicha und Andreas Okopenko – in manchen Fällen: durchaus mit Recht – der von ihnen ausgesparten Rubrik ‚Jungmädchensentimentalität‘ zugeschlagen hatten, wird im neuen Band in voller Länge gedruckt: Dies betrifft nicht nur die frühesten Gedichte, sondern auch einen Tagebuchtext, der aus dem Sommer 1949 stammt und eine Reise nach Norwegen beschreibt.
Ab Herbst 1950 schreibt Kräftner ihr bekanntesten und wohl auch besten Texte. Abseits stilistischer Beeinflussung findet sie einen unverwechselbaren Ton, um die Einzigartigkeit ihres Erlebens umzusetzen. Es entsteht eine Serie von „Litaneien“, in denen die verlorenen Außenwelt in stiller, vor sich hingesprochener Art beschworen wird. Die Art dieses Schreibens erfaßt spezifische Lebens- und Leidensmomente, in ihr setzen sich erlebte Stimmungen weniger zu avancierter Formgebung als vielmehr zu einer direkt wirksamen Bildersprache um.
„Wenn ich mich getötet haben werde … “ – mit diesen Worten beginnt ein im März 1951 geschriebener Prosatext, der an dem Schicksal, das Hertha Kräftner über sich verhängt, keinen Zweifel aufkommen läßt. Freunde und Bekannte werden, so mutmaßt der Text, Motive zu ergründen suchen: Die Melancholie oder Traumata würden genannt werden, ebenso wie eine völlige Ursachlosigkeit. Dabei käme es – laut Kräftner – auf solche Spekulationen nicht an: „Die wirkliche Ursache, warum der Tod einen trifft, zu wissen, ist niemals möglich; wirklich und ausschlaggebend ist nur, daß der Tod auch nach Teheran kommt.“