Ein dicker Schinken oder sagen wir besser: ein gewichtiges Buch ist der Katalog zur Ausstellung „Kunst Kunst Kunst“, die die Geschichte des Österreichischen Staatspreises nach dem Zweiten Weltkrieg dokumentiert. Für das aufwendige, wenn auch nicht unumstrittene Ausstellungsprojekt hat man das 20er Haus neben dem Südbahnhof für kurze Zeit reaktiviert, im Katalog dazu werden alle Preisträger porträtiert und der Entwicklung in einigen Texten nachgegangen.
Dass die Geschichte der größten Auszeichnung, die der österreichische Staat an Künstler vergibt, zugleich ein nicht immer schmeichelhaftes Sittenbild der Alpenrepublik nach 1945 ergibt, ist schon seit langem dank kritischer Arbeiten seitens der Literaturwissenschaft bekannt. Die vorliegende Publikation bestätigt einmal mehr diese Einschätzung. „Von der Tradition zur Avantgarde“, so nennt sich der einleitende Aufsatz von Kurator John Sailer, in dem in groben Zügen die Entwicklungslinie des Preises nachgezeichnet wird. Die Wurzeln der Auszeichnung liegen pikanterweise in der Zeit des Austrofaschismus: auf Dollfuß` Initiative wurde ab 1934 die Ehrung an bedeutende Künstler vergeben – natürlich nur an solche, denen man österreich-nationale Werke zu verdanken hatte. Der Literaturjury gehörte damals etwa der antisemitische Literaturgeschichtsschreiber Josef Nadler an, auch Rudolf Henz, späterer Präsident des österreichischen Kunstsenates, durfte bei der Verleihung ein Wörtchen mitreden. Die jüdisch-entarteten Künstler kamen für den Preis nicht in Frage, blöderweise bekannten sich aber zahlreiche – aus ästhetischen Gründen – durchaus geeignete potentielle Preisträger bald zum Nationalsozialismus, ein Vorzeichen für das baldige Ende des Ständestaates und damit auch des Preises.
Seit 1950 wurde die Auszeichnung wieder verliehen, und zwar nicht wie zuvor jährlich an Künstler aus allen Bereichen (Literatur, Musik, Darstellende Kunst und Architektur), sondern manchmal eben „nur“ an einen einzigen oder zwei. Die Phasen der Staatspreis-Entwicklung lassen sich sehr gut anhand der Präsidentschaft des Österreichischen Kunstsenates einteilen. (Der Kunstsenat wurde 1954 als Gremiums etabliert, das sich aus Trägern des Großen Österreichischen Staatspreises zusammensetzt und diesen in der Folge weiter vergibt.) 1954 übernahm der Architekt Clemens Holzmeister als erster die Präsidentschaft im Kunstsenat. Holzmeister war ebenso wie einige seiner Kollegen im Gremium (etwa Rudolf Henz) konservativer Auffassung, unter den Preisträgern der ersten Jahre befinden sich daher Leute wie Franz Nabl (1956) oder Josef Leitgeb (1950). Doch Holzmeister war bisweilen durchaus offen für Entwicklungen der Moderne, immerhin gehörten auch Künstler wie Ernst Krenek (1963), Oskar Kokoschka und Fritz Wotruba (beide 1955) zum Kreis der Geehrten. Ähnliches lässt sich von der Präsidentschaft Rudolf Henz` berichten (1967 bis 1980). Der konservative Schriftsteller pflegte beste Kontakte zu den „Heimat“-Schriftstellern wie Max Mell oder Franz Karl Ginzkey. Aber in seine Ära fällt eben auch die sicherlich bedeutsame Ehrung Elias Canettis (1967), im Jahr darauf wird mit Ingeborg Bachmann immerhin eine prononcierte Vertreterin der neuen jungen Literatur ausgezeichnet. Deutlich wandelt sich auch die Ausrichtung des Preises: Zunächst war er für ein Lebenswerk gedacht, im Lauf der Zeit wurde er auch an jüngere Künstler vergeben. Ganz im Zeichen der Moderne dann die Ära Roland Rainers (1980 bis 1999), allein die Namen der Literatur-Preisträger sprechen Bände: Friederike Mayröcker, Ernst Jandl, Peter Handke, Oswald Wiener, Gerhard Rühm, Wolfgang Bauer, Ilse Aichinger und Andreas Okopenko wurden „geadelt“. Seit 1999 hat Hans Hollein den Vorsitz des Kunstsenats inne. Sein Bekenntnis zur Moderne ist in den jüngsten Auszeichnungen von Coop Himmelb(l)au und Gert Jonke zu erkennen.
Der vorliegende Katalog bietet neben einleitenden Texten zu den Kunstrichtungen Musik, Literatur, Bildende Kunst und Architektur jeweils einiges zu den Preisträgern selbst. Wobei dieses „einiges“ recht unterschiedlich sein kann: Manchmal ein essayistischer Text, dann wieder die Beschreibung eines einzigen Werkes, gefolgt von einer Laudatio auf den Künstler … Die Publikation hat also weniger lexikalischen Charakter hat, sondern ist eher eine Anthologie zum Schmökern. Im Bereich Architektur hapert es außerdem ein wenig mit der Bildauswahl: der „ganz große Wurf“ (S. 83) des Architekten Karl Schwanzer etwa, der Österreich-Pavillon für die Weltausstellung in Brüssel 1958, wird zwar ausführlich im Text beschrieben, ein Bild davon sucht man leider vergeblich (dafür werden gleich drei Ansichten des Museums des 20. Jahrhunderts, ebenso von Schwanzer, mitgeliefert.). Bei Coop Himmelb(l)au geht es wiederum „nur“ um den UFA-Kinopalast in Dresden, ohne Zweifel ein berühmtes Projekt aus dem Jahr 1998, aber eben nicht das einzige des Büros, das immerhin bereits 1968 gegründet wurde und die 30 Jahre dazwischen ja nicht gerade untätig war.
Doch genug der Schelte, immerhin wird bereits auf Seite 14 auf den Umstand hingewiesen, dass es sich um eine „kursorische Darstellung“ handelt und zum Teil recht unterschiedliche Porträts der Preisträger verwendet werden. Insofern ist der interessierte Leser darauf vorbereitet, dass der Katalog einen Einstieg bietet und als solcher ist er durchaus ansehnlich.
Peter Stuiber
7. Juli 2003
Originalbeitrag