Lambert Zuser (1,75 m, 115 kg) hat einen „Heurigenkranz“ am Kopf, ist an sich ein Sturkopf, aber auch Leiter der Straßenmeisterei. Er hat einen Bierbauch und eine Aversion gegen weiße Hemden und den „Strick“. Denn das sind Zeichen für das Offizielle. Lambert ist im Mostviertel aufgewachsen und die Liebe hat ihn nach Kurzenbach gebracht. Zuser hat die größten Feinde im eigenen Haus (die 88jährige Schwiegermutter), in der Partei (den populären Dorfarzt, der sich mit Namenspartei abspaltet) und in der Familie (Tochter Susanne, die an der BOKU studiert, für die Grünen kandidiert und die Initiative Pro-Biber gründet). Gern mag Lambert eigentlich nur Essen, Trinken und Angeln (mit seinem blauen Freund). Dort wird dann auch der erste Biber gesichtet. Der Biber hat Sprengkraft. Der Biber mobilisiert die Dorfmasse und treibt den Spalt sogar in die Familie. Dem Biber sei Dank kommt Bewegung in das ganze Dorf. Es gibt eine Bürgerversammlung zum Biber-Problem, es gibt auch andere Probleme in Kurzenbach. Aber ein geheimnisvoller Business-Manager taucht auf und verspricht, für alles eine Lösung zu haben.
Im ersten Teil der Flachland-Saga tauchen wir ein in den Bürgermeister-Alltag (Umwidmungen, Heurigenkalenderpflege, Gackerlsackerl). Wir lernen Zuser kennen, es wird mit Rückblenden gearbeitet und eine schön verschränkte Geschichte aufgebaut, die diversen Fäden ausgelegt. Alles dreht sich immer ums Wiedergewähltwerden. Dafür ist dem Bürgermeister (seit 22 Jahren) alles recht. Dafür verbiegt er sich, so gut er kann. Die nächsten Wahlen stehen im Herbst an. Er wahlkämpft und umgarnt die potenziellen Wählerinnen und Wähler. Er hat sie drauf, die diversen Redeweisen: mal des Volkes Ton (bei der Eröffnung des Wiesenfestes), mal die Lokalpolitiker-Rhetorik (bei der Bürgerversammlung), mal niederösterreichisches Hochdeutsch (beim Fotoshooting mit der Landeshauptfrau – grandiose Würdigung des NÖ-typischen Fotorituals) und wenn es sein muss, wird Zuser zum „Häferl“ (Choleriker; bewährtes NÖ-Register). Diverse Reden nehmen ohnehin einen großen Platz ein: Eröffnung einer Vernissage, Baustellen-Spatenstich, Enthüllung einer Skulptur, Präsentation von Weinen, immer hat wer was zu sagen, mitunter ist es ermüdend. Die Landeshauptfrau weiß ein Lied davon zu singen. Die kotzt dieses ständige Touren durch die Provinz mächtig an, aber Niederösterreich speist sich halt auch durch die Macht der kleinen Orte in der Provinz. Das weiß sie, deshalb zieht sie ihre Mission durch. „In diesen Momenten hasste die Landeshauptfrau ihren Job am meisten. (…) Die Menschen waren ja am glücklichsten, wenn sie angelogen wurden.“ (S. 199)
Wolfgang Kühn beschreibt diese Menschen. Kurzenbach ist im Grunde also eine tieftraurige Dorfmilieustudie. Aber erzähl- und detailfreudig dargeboten, mit Rückblicken in die 1960er, 70er, 80er Jahre und Einblicke in den Kommunalpolitikalltag. Man gibt sich feucht-fröhlich bis zum Umfallen bzw. bis zu den nächsten Wahlen und dann erst recht. Alle sind verstrickt, alle sind verbandelt, alle sind dem Versumpfen nicht abgeneigt.
Im Roman Kurzenbach wird eine auf Missgunst und den persönlichen Vorteil basierende Gesellschaft gezeichnet. Mal in feinen Strichen, mal lieblich aquarelliert, mal ordentlich aufgetragen in Öl. Neues hat nur eine Chance, wenn es für den eigenen Vorteil genutzt werden kann. Die einen haben politische Interessen, den anderen geht es nur ums Saufen, dem Dorfarzt geht es um Frauen, dem Bäcker und dem Winzer ums Um- und Ausbauen. Die eine will nur an- und groß rauskommen (die Töpferin), wieder andere schimpfen ihr Leben lang (die Schwiegermutter und die alte Huber). Von wegen Dorfgemeinschaft! Menschenfreunde gibt es in Kurzenbach keine, wirklichen Zusammenhalt auch nicht. Der Erzähler hält sich raus und zurück, er breitet aus und lässt uns hineinblicken. Das Geschilderte ist vermutlich mehr wirklicher Spiegel als Zerrspiegel, vermutlich mehr konkretes Abbild als abstraktes Bild einer exemplarischen, gegenwärtigen Dorfgemeinschaft in Niederösterreich. Aber es ist auf jeden Fall ein stimmiges Bild. Man gewinnt die Figuren trotz ihrer Schwächen lieb. Aber man wünschte diesem Kurzenbach wirklich ein Ibiza.