#Lyrik

Lauergrenze, Mensch!

Petra Ganglbauer

// Rezension von Martin Peichl

Die Zerlegung der Welt in Einzelteile
Notizen zu Petra Ganglbauers Lauergrenze, Mensch!

Die Welt, die Petra Ganglbauer in ihrem Gedichtband Lauergrenze, Mensch! skizziert, ist eine brennende, ihr Untergang, so scheint es, steht unmittelbar bevor, zu viel Raubbau haben die Menschen betrieben, eine letzte Grenze überschritten, einen Punkt ohne Wiederkehr erreicht. Die Gedichte beschreiben und betasten den irreparablen Schaden, den die Ausbeutung der Natur angerichtet hat.

Dieser Schaden wird auf sprachlicher und formaler Ebene in den Texten gespiegelt, auch die Sprache ist betroffen vom allgegenwärtigen Raubbau und jetzt muss sie mit dem auskommen, was noch übrig ist, aus einer Not heraus neue Wörter basteln für einen Verlust, der schwer zu fassen ist. Zusätzlich verstärkt wird dieser Effekt durch die Zeilenumbrüche, die oft bewusst mit Rhythmus und Erwartungshaltung brechen, sowie durch kursiv gesetzte Passagen, Nahtstellen, wo das Sprachmaterial des Ist-Stands (wie die Welt ist) auf Sprachmaterial des Soll-Stands (wie die Welt auch sein könnte) trifft.

Ganglbauer findet eine bemerkenswerte Balance, die Gedichte mit Melancholie und Dringlichkeit gleichzeitig zu versehen. So ist Lauergrenze, Mensch! weder eine reine Beschreibung der Konsequenzen des Anthropozäns noch ein bloßes Anprangern der damit einhergehenden Missstände. Was dem Buch gelingt: eine Sprache zu finden für Verluste im Werden. Für ein langsames, unausweichliches Abschiednehmen. Es sind keine „uneindeutigen Verluste“ (ein Begriff, den die US-amerikanische Psychotherapeutin Pauline Boss geprägt hat), die Ganglbauer in ihren Gedichten beschreibt, sie werden von den Texten benannt und dokumentiert. Was die Verluste so schwer fassbar macht, ist das Ausmaß ihrer Endgültigkeit.

Für die heruntergewirtschaftete Welt findet die Autorin eindringliche Bilder, es geht um „hart berührtes Gras“, ein „Meer ohne Zwischenlager“, Tiere bluten „als fleischliches Gewölk“, da ist eine Schicht „Asphalt auf den Blüten“. Flora und Fauna verschwinden, nicht spurlos, wie einer der Texte betont, und das ist vielleicht die eigentliche Tragik, „die waldlosen Wälder, die feldlosen Felder“, dass wir überall erinnert werden an das, was nicht mehr ist, auch nicht mehr wird.

Man kann die Gedichte als „Trümmer-Notizen“ lesen, als „Versuchsanordnung der Angst“. Weil die Zukunft ungewiss ist, bleibt nur „die Illusion der Gegenwart“ und ein Festhalten an der „Silhouette von damals“, Erinnerungen an eine weniger beschädigte Welt. Einer der Texte stellt die zentrale Frage, die man dem Buch als Motto voranstellen könnte: „Wer überlebt die Zerlegung der Welt in Einzelteile?“ Und welche Rolle spielt literarisches Schreiben in diesem Kontext? Ist Schreiben nicht auch eine Zerlegung der Welt in Einzelteile? Dem vorliegenden Gedichtband könnte man das gegenteilige Anliegen unterstellen: das Zusammensetzen einer Welt aus Einzelteilen. Lyrik als Artenschutzprojekt, als Versuch, das wenig Intakte zumindest sprachlich zu bewahren.

Gedichte, schreibt Ganglbauer in einem der Texte, sind „das Anvertraute“. Wenn man will, kann man Lauergrenze, Mensch! als Zeitdokument lesen, als Beschreibung des Zustands unserer Welt mittels Lyrik, als Inventur der Dinge, die wir bald nicht mehr zählen werden können. „Dass ich abhebe, was ich nicht eingezahlt habe, und ernte, was ich nicht gesät habe“, heißt es im „Gleichnis von den anvertrauten Talenten“ im Lukas-Evangelium (wobei der Satz mit minimalen Abweichungen auch bei Matthäus vorkommt). Und wie in dem biblischen Gleichnis geht es auch in Ganglbauers Gedichtband um die Angst vor Investition. Um die traurige Erkenntnis: Wieso sollen wir investieren, in eine Welt der „brennenden Tiere, Flüsse“ mit „lodernden, stürzenden Himmeln“, wo alles „gekippt, geplündert, verladen“ wird, wir nur noch Leere atmen statt Luft?

Wer Trost sucht, ist hier nicht an der richtigen Adresse, Ganglbauers Gedichte wollen nicht beruhigen oder beschwichtigen. Sie bieten ein wichtiges Gegenmodell zur verführerischen Untergangsromantik (die sich ohnehin nur Privilegierte leisten können) und sind ein berührendes Zeugnis, wie leise und unbemerkt manche Verluste vonstattengehen. Nicht zuletzt ist Lauergrenze, Mensch! ein seltener Glücksfall, wo Inhalt, Sprache und Form ein stimmiges Ganzes ergeben.

Homepage von Martin Peichl

Petra Ganglbauer Lauergrenze, Mensch!
Lyrik.
Innsbruck: Limbus Verlag 2023.
96 Seiten, Gebunden mit Lesebändchen.
ISBN 978-3-99039-239-3.

Verlagsseite mit Informationen zu Buch und Autorin

Homepage von Petra Ganglbauer

Rezension vom 05.12.2023

Originalbeitrag. Für die Rezensionen sind die jeweiligen Verfasser:innen verantwortlich. Sie geben nicht notwendig die Meinung der Redaktion wieder.

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