Entstanden sind 12 Gespräche, oder – wie Reich-Ranicki im Nachwort anmerkt – „unterhaltsame und vielleicht auch belehrende Spiele“ (S. 300), die immer mit Publikum geführt wurden. Der mündliche Duktus der Fernsehgespräche wurde in der Publikation beibehalten.
Vorgestellt werden Bertolt Brecht, Erich Kästner, Anna Seghers, Elias Canetti, Wolfgang Koeppen, Hans Werner Richter und die Gruppe 47, Golo Mann und die Familie Mann, Max Frisch, Heinrich Böll, Friedrich Dürrenmatt, Ingeborg Bachmann und Thomas Bernhard.
Auch wenn bei den meisten Porträtierten das Werk im Zentrum steht – mit den bekannt subjektiven, oft gnadenlosen Wertungen – , wird es doch vor dem Hintergrund des Biografischen und Anekdotischen beleuchtet. Und dies selbstverständlich in der für Reich-Ranicki typischen Weise, die zwischen edler Zurückhaltung, boulevardesker Intimität, Wissen und Behauptung hin und her springt und – zumindest in Form des Live-Auftritts – den Unterhaltungswert ausmacht.
> Nicht, daß man ungemein viel Neues über die AutorInnen erfahren würde -und etlichem muß man nicht die gleiche Bedeutung für die Literatur beimessen, wie es Reich-Ranicki tut, wenn er zum Beispiel postuliert: „Es ist eine Doktorarbeit fällig über uneheliche Söhne in der deutschen Literatur … Koeppen war ein unehelicher Sohn, Hubert Fichte und Peter Rühmkorf auch.“ (S. 279f). Oder: „… Thomas Bernhard war wohl sein ganzes Leben lang impotent … Das ist ein ganz wichtiger Umstand, denn man kann sein ganzes Werk nicht verstehen, wenn man dieses Faktum nicht berücksichtigt.“ (S. 276) Das ist sicher nichts für Anhänger einer werkimmanten Literaturwissenschaft.
Aber es handelt sich hier ja nicht um Literaturwissenschaft oder -geschichte, sondern um Entertainment. Und deshalb kann hier öffentlich diskutiert werden, ob Ingeborg Bachmanns Schüchternheit und Verwirrtheit eine inszenierte war: „Plötzlich fiel ihre Handtasche auf die Erde. Fiel sie oder hatte sie sie absichtlich fallen lassen? Einen Augenblick war sie nicht im Zentrum der Aufmerksamkeit, schon lag die Tasche auf dem Boden, drei Herren eilten herbei …“ (S. 255) Allerdings wird ihr neben Schutzbedürftigkeit, Geltungstrieb und einer überspannten, hysterischen Prosa auch eine Aura und große Lyrik zugestanden.
In den Gesprächen gibt es auch berührende Passagen, wenn Reich-Ranicki offenlegt, wie sehr sein Leben mit der Literatur verwoben ist, und beispielsweise von einem Besuch in dem von Max Frisch geplanten Schwimmbad am Letzigraben erzählt: Peter Voss: Sie sind da gewesen? Marcel Reich-Ranicki: Jawohl! Ich war schwimmen. „Peter Voss: Aber sie sind nicht von diesem Turm gesprungen? Marcel Reich-Ranicki: Nein, nein! Na, das nicht! Aber geschwommen bin ich. Peter Voss: Hat es Ihnen gefallen? Marcel Reich-Ranicki: Ja, es hat mir sehr gefallen. Ich habe ja schon manches getan für die deutsche Literatur, um sie zu erkunden. Ich habe beispielsweise schon eine Suppe gegessen, die Grass gekocht hat, das war auch beinahe heroisch.“ (S. 184f.) Grass-Leser können vermuten, um welche Suppe es sich gehandelt hat.
Und wenn Thomas Bernhard Reich-Ranicki als Person so gar nicht eindrucksvoll erschien, konnte es der Vierkanthof in Ohlsdorf sehr wohl: „Es sah unheimlich aus. Dort hat er sich wohl gefühlt, da hat er gearbeitet.“ (S. 283)
Was der Leser noch erfährt: Manche Kritiken hat Reich-Ranicki nicht geschrieben – sei es aus persönlichen Gründen (Bachmanns Malina, S. 261f.) – oder wegen Unsicherheiten im Urteil (Bernhards Frost, S. 284).