Zehn Erzählungen
Das vorangestellte Motto von Marguerite Duras bezeichnet das Programm: „Schreiben heißt nicht Geschichtenerzählen. Es ist das Gegenteil von Geschichtenerzählen. Es ist: alles auf einmal erzählen. Es ist: eine Geschichte und das Fehlen dieser Geschichte erzählen.“ In den zehn Erzählungen, die folgen, ist dieses Programm mit größter Kunstfertigkeit verwirklicht. Denn es sind Erzählungen: zuerst längere, dann immer kürzere. Sie haben keinen Titel, vorangestellt ist ihnen stets – ein Gedicht. Es wird erzählt – Tochtergeschichten, Muttergeschichten, Liebesgeschichten – ohne dass dabei von der lyrischen Qualität irgendetwas verloren geht. Tatsächlich: „Undine geht“ von Ingeborg Bachmann erklingt in einigen der größeren Erzählungen wieder. Die neue Undine hat mich mit ihrem Gesang betört.
Ich
Es gibt immer ein Ich, in allen diesen Erzählungen. Das Undine-Ich singt ein Lustlied, ein Leidlied, ein Undine-Lied eben, das Ich ist weiblich, es leidet mehr als es Lust erlebt; es leidet an der Männer-Luft-Welt, zieht sich zurück in sein Nass und zieht sie in ihr Nass, das Nass ist die Sprache. Es fällt auch das Wort „Opfer“, das Wort „Tatort“, in der letzten, der erratischen, der kürzesten der Erzählungen. Ich versuche beim Lesen mit dem Ich mit-zu-leben, mit-zu-leiden, die Anklänge an das Todesarten-Motiv waren es, die mich beim Lesen erschüttert haben. Es geht darum, was wir Männer den Frauen antun, wir „Ungeheuer mit Namen Hans“, wie sie bei Bachmann heißen, bei Elke Laznia haben sie keine Namen. Es mag schon sein, dass wir Männer das alles schon gar nicht mehr hören können und nicht mehr lesen wollen. Ist das Lavendellied also ein Buch nur für Frauen? Das meine ich nicht.
Du
Es gibt immer ein Du, und das formt ein Wir, mit der Großmutter, mit der Mutter, mit den Kindern, mit dem Partner. Oft wird das Du mit der Floskel „weißt du“ angesprochen, sie gibt in den Erzählungen den Takt an. Der ganze Band ist ein Monolog des Ich, das mit dem Du in den Dialog kommen will. Dass der Dialog scheitert, die Angst, dass das Du nicht zuhört, eben dies erzeugt die Erschütterung beim Lesen. Das Ich redet in sich hinein und aus sich heraus. Es werden von ihm richtige Geschichten erzählt wie die von den Kindern und der tyrannischen Nachbarin, und Liebesgeschichten, in denen das Du immer ein Du bleibt, nie ein Er wird. Es sind namenlose Du-Ungeheuer, es steigen keine Mörder auf wie Dr. Jordan in den „Todesarten“ der Bachmann, in einer Passage, die das besonders schön zeigt, gibt es einen wie Doktor Jordan, der das Ich mit seinen Hausbesuchen beglückt, gespielt wird das Machtspiel der Liebe (Leseprobe 1). Genau genommen sitzt das Du, das immer da ist und die Geschichte erst konstituiert, aber im Ich. Das Du ist eine Schöpfung des Ich, wie „Malina“ im Roman der Bachmann. Die kleinen Kriminalfälle, die erzählt werden, sind Geschichten des Inneren. Das Drama wird im Ich ausgetragen. Und wie bei Robert Musil in seinen Frauennovellen, den Vereinigungen, sind es „Gehirnspaziergänge“, auf die das Ich uns Leser mitnimmt.
Die Sprache
In einem anonym veröffentlichten Text Über Robert Musils Bücher lässt Musil im eigenen Dichter-Gehirn sitzend sein Ich einem Literaturgeologen und einem Schriftstellerkollegen erklären, dass es in der erzählten Geschichte auf den Inhalt der Geschichte nie ankommt, sondern immer auf „Gefühlserkenntnisse“ und „Denkerschütterungen“, die das dichterische Wort in Lesern auszulösen vermag. So hat die Sprache der Dichterin Elke Laznia bei mir Wort für Wort Gefühlserkenntnisse und Denkerschütterungen ausgelöst. Mehr kann ein Buch nicht bewirken. Besser kann ein Buch nicht gelingen. Es passt nicht zu sagen, jedes Wort sitzt, so makellos sie sind, die Wörter dieses Buches, wie Wellen (undae), auf denen das Undine-Ich und ihr Du mich hintreiben. Die Sprache, die die Geschichte bis zur Unkenntlichkeit wegschreibt, kreiert in einem fort ein Rätselspiel: „es gibt keine Geschichte, […] ich möchte keine Geschichte erzählen, möchte gar nichts erzählen, […] und abwarten, ob ich mich erkenne, ob du dich erkennst, […] (Leseprobe 2). Die Magie des Schreibens von Elke Laznia besteht im Verstecken der Geschichte im Lavendelstrauß der Wörter. Das bereitet Lust, weil ich als Leser mitspielen, jeden Satz enträtseln, mich in ihrer Geschichte erkennen darf. Das bedeutet Leid, weil das Ich in der Sprache zu verschwinden droht, wie das Ich in Malina in der Wand.