Die beiden Autorinnen Petra Ganglbauer und Waltraud Seidlhofer beschäftigen sich immer wieder mit Literaturtheorie, ihre Poetikvorlesungen sind im stets aktuellen „FREIBORD“ nachzulesen. Petra Ganglbauer könnte man mit dem Emblem „Poesie und Feminismus“ beschlagworten, Waltraud Seidlhofer testet immer wieder den Nouveau Roman auf seine Brauchbarkeit im Zeitalter des „Nach-Rhizoms“ (Deleuze/Guattari).
Die schmalen Bändchen der edition gegensätze, „literarische theorie“, sind in ihrer Konzentration nicht zu unterschätzen. Die von Dieter Sperl und Paul Pechmann herausgegebenen Literatur-Tabs lösen auf Anhieb großen Schaum der Begierde aus und bieten dem Leser Klarheit, wenn er lange genug bei der Lesearbeit bleibt.
Mit Ruck-Zuck läßt sich der „Lippenverreißung“ jedenfalls nicht beikommen, erst wenn man den Text von vorne nach hinten und zurück, mit und gegen den Strich gelesen hat, werden die Gedanken so klar, daß man auch anderen Lesern davon erzählen kann.
Im Gemeinschaftswerk der beiden Autorinnen geht es um so grundlegende Fragen wie: Kann ein gemeinsamer Text entstehen, ohne daß dabei die Autorinnen zerrissen werden? Wie läßt sich ein Text so zähmen, daß er für den Rezipienten zugänglich wird? Wie kann man mit kleinem Inventar und minimalem Instrumenteneinsatz etwas so Gewaltiges wie einen gültigen Text produzieren?
„Aufforderung an die Leserin/den Leser: Bitte keine Logikbombe!“ (S. 32)
Über Korrespondenzsegmente, Assoziationsfelder, funktionale Partikel und lexikalische Einsprengsel nähern sich die Autorinnen jener Schreibzone, in der eine andere als die landläufige Textordnung herrscht. „Wenn ich Fragen stelle, entstehen keine Antworten. Stelle ich keine Frage, taucht immer ein neuer (Bild-)Grund auf.“ (S. 12) In einer Skizze, die an ein überdimensionales Story-Board der Gegenwart erinnert, sind die verschiedenen Textebenen dargestellt, die zur gleichen Zeit im Gehirn die Äuqivalente dazu auslösen (Gesichts-Ausdruck; Sprachbewegung; Flüstern; Musiksequenzen).
„Wen plündere ich, wenn ich ihn hereinhole in den Text, namentlich, niemanden!“ (S. 16)
Die Kompositionselemente, Themensensorien und Bildträger fügen sich gegen Ende des Textes zu einem kleinen dramaturgischen Ereignis zusammen. In diesem Minitheaterstück zeigt der Chor per Hand auf ROT, der Sprecher erklärt die Stadt zur Erzählung, Planung und Obsession, ein namenloses Sie schwärmt von Bilderbergen, Lippenverreißungen und Augenstaunen, das alles kumuliert schließlich gleichzeitig in den Figuren.
Diese „allmählichen Überlegungen beim Verfassen von Texten“ lassen sich vermutlich auch auf ander Texte übertragen. Es ist durchaus reizvoll und nützlich, mit dem Beobachtungs-Set der beiden Autorinnen an Texte heranzugehen, die man dieser Veredelungsprozedur für würdig erachtet.