Es begann 1972, als Alfred Kolleritsch gebeten wurde, zusammen mit Ernst Trost in der Grazer Ausgabe der Kronen Zeitung eine wöchentliche Literatur-Seite einzurichten (die 1973 vorübergehend auf eine Spalte gekürzt wurde – damals nahm man noch hin und wieder Rücksicht auf die Konkurrenz, in diesem Fall die „Kleine Zeitung“); das Projekt lief zunächst unter dem Namen „Konfrontationen“, später mutierte es zur strengeren Form des „Tagebuchs“: „Nunmehr waren die Vorgaben für die Texte klarer definiert: vorrangig steirische AutorInnen, Bezugnahme auf regionale Themen, […] Aktualität, prinzipielle Abgeschlossenheit und sprachliche Nähe zur Alltagsprosa.“
Was unter „regionalen Themen“ im Einzelnen zu verstehen sei, erhellt ein Brief von Hans Dichand an Alfred Kolleritsch vom 6. 9. 1974: „Wir müßten doch darauf achten, daß entweder die Autoren Steirer sind, in diesem Fall müssen ihre Eindrücke ja nicht die Steiermark betreffen, oder die Autoren sind Nichtsteirer, in diesem Fall müßte das Tagebuch steirische Dinge behandeln.“ Dass die Literaturseite nicht in die Provinzialität abglitt, dafür sorgten die Autoren: Wolfgang Bauer, Gustav Ernst, Reinhard P. Gruber (der in den 70ern sogar einige Jahre lang als Kulturredakteur und Kolumnist für die Kronen Zeitung tätig war), Raoul Hausmann, Klaus Hoffer, Franz Innerhofer, Friederike Mayröcker, Urs Widmer und viele andere.
Der künstlerischen Innovation waren freilich Grenzen gesetzt, manche Texte wurden von der Redaktion zurückgewiesen. Friederike Mayröcker brachte mit „in den boxhimmel, sagte er“ einen sprachlich experimentellen Text ins Programm – aber nur einen. Weitere Beiträge der Autorin wurden „trotz privater Hochschätzung“ von Hans Dichand nicht mehr akzeptiert, die Leser müssten an „an so extremen Stil“ langsam gewöhnt werden, in der Steiermark sei es dafür noch zu früh…
Generell ging es der Grazer Ausgabe der Kronen Zeitung aber nicht zuletzt darum, junge Leser anzusprechen, sich modern, tolerant, aufgeschlossen zu geben, um sich gegen alteingesessene, biedere Parteizeitungen wie die „Südost-Tagespost“ oder die „Neue Zeit“ und die dominierende, klerikal-konservative Kleine Zeitung durchzusetzen. Diese liberale Pose hatte offensichtlich mehr mit Leser- und Profitmaximierung zu tun als mit Sendungsbewusstsein, aber immerhin hatten junge Autoren die Möglichkeit, ihre Texte einem breiten Publikum vorzustellen.
Der Großteil der im vorliegenden Band versammelten Texte war bislang nicht für die Öffentlichkeit zugänglich, weil sie kaum anderweitig publiziert worden sind, es wurden fast ausschließlich Texte ausgewählt, die seit ihrem Abdruck in der Kronen Zeitung nicht wieder veröffentlicht wurden.
Die Beiträge sind sehr unterschiedlich, reichen von tatsächlich tagebuchartigen Aufzeichnungen (Gert Jonke, Urs Widmer: ja, auch „Gäste“ durften veröffentlichen) über Reise- und Erlebnisberichte (Helmut Eisendle, Reinhard P. Gruber) bis zu Erzählungen (Barbara Frischmuth), launige Alltagsfeuilletons (Wolfgang Bauer) und gesellschafts- bzw. kulturkritische Polemiken (Gustav Ernst, Franz Innerhofer) oder Werkstattberichte (Alois Brandstetter). Dementsprechend verschieden lesen sie sich auch. Anspruchsvoll, kompliziert, melancholisch, simpel gestrickt, trist – oder einfach witzig. Die Gesamtphilosophie der Kronen Zeitung manifestiert sich also auch im Literaturteil: Für möglichst jeden Geschmack soll etwas dabei sein.