Nachdem der Autor alle (!) der mehr als 230 Einträge selbst verfaßt hat – aus dem Kroatischen übersetzt wurden sie allerdings von 19 verschiedenen Personen -, sind Lücken unvermeidlich, und Biti ist sich dessen durchaus bewußt. Der Vorteil eines einzigen Urhebers, daß nämlich in der Darstellung Gleichmäßigkeit erreicht wird, fällt jedoch m.E. wenig ins Gewicht, da man als Leser/in ohnehin immer nur ganz bestimmte Begriffe nachschlägt. (Das „Metzler Lexikon Literatur- und Kulturtheorie“ bietet im übrigen mehr als 600 Einträge, wobei man hinzufügen muß, daß Biti auf biographische Einträge verzichtet und zudem viele Begriffe, die im Metzler Lexikon getrennt geführt werden, unter einem Lemma zusammenfaßt.)
Einer der großen Vorteile dieses Bandes liegt in der Tatsache, daß darin nicht nur Theoretiker/innen aus dem angloamerikanischen, französischen und deutschen Raum, sondern auch russische, polnische, tschechische, kroatische und slowakische Denker/innen berücksichtigt wurden, was vor allem die Darlegung der verschiedenen theoretischen Richtungen, Positionen und Schulen sehr bereichert. Die Beschreibungen der Theorien – ob Hermeneutik, Cultural Studies, Dekonstruktion oder marxistische Kritik – ist jedoch nicht nur aus diesem Grunde sehr gelungen und informativ. Nachdem die Ausführungen dazu oft den Umfang von 15 Seiten übersteigen und Entstehungskontext, Einbettung in den Gesamtkontext sowie Verbindungslinien zu anderen Theorien ausführlich miteinbeziehen, bieten diese Beiträge mehr als man üblicherweise von Lexikoneinträgen gewohnt ist. Positiv fallen zudem auf: die Stichwortliste zu Beginn, die sehr ausführliche Bibliographie und der niedrige Preis von EUR 19,90.
Allerdings sollte man einiges an Vorwissen bei der Lektüre mitbringen: Die einzelnen Einträge bewegen sich auf einem hohen Niveau, und wenn man nicht schon weiß, worum es – zumindest ungefähr – geht, wird man mit den Erläuterungen wahrscheinlich nicht allzuviel anfangen können. Der narrative Erzählduktus ist angenehm zu lesen, strukturiert die Materie aber nur wenig, wodurch das Verständnis für Anfänger/innen nicht unbedingt erleichtert wird, und die vielen englischen und französischen Zitate setzen die Beherrschung dieser beiden Sprachen voraus. Zu eventuellen Verständnisschwierigkeiten könnte auch beitragen, daß der Verfasser sehr sparsam mit Beispielen ist. Es mag zwar schwierig sein (wenn auch nicht unmöglich), griffige und einfache Beispiele für „Dekonstruktion“ zu finden, aber daß sie bei „Denotation“ beispielsweise fehlen, irritiert ein wenig. (Dafür erfährt man jedoch sehr ausführlich, welche Theoretiker/innen wie mit diesem Begriff verfahren sind.) Das heißt, der Eintrag zu „Denotation“ – er sei hier stellvertretend genannt – wird für all jene eine reichhaltige Informationsquelle sein, die bereits wissen, was man unter einer Denotation zu verstehen hat.
Daß ein einzelner Verfasser für alle Einträge verantwortlich zeichnet, wird dort zu einem Problem, wo dieser Lücken aufzuweisen scheint oder deutliche Antipathien hegt. So fehlt bei „Poststrukturalismus“ Derrida fast vollständig, die Begriffe „différance“ oder „écriture féminine“ werden dort nicht einmal erwähnt. Und für die Empirische Literaturwissenschaft scheint Biti wenig Sympathie zu haben: Der Eintrag dazu schildert zwar die Auffassungen Siegfried J. Schmidts sehr detailliert, ignoriert aber wichtige Positionen und Theoretiker/innen und ist an vielen Stellen sehr polemisch und beinahe zynisch – der (radikale) Konstruktivismus wird in einem Absatz „erledigt“ (und es fehlen die Stichworte „Konstruktivismus“ und „radikaler Konstruktivismus“), Norbert Groeben und die Empiriker der frühen 70er-Jahre beispielsweise nicht einmal erwähnt. Unter dem Stichwort „Aktant“ finden wir viel Kluges über Greimas, aber nichts über die Empirische Literaturwissenschaft, für die der Begriff von großer Bedeutung ist. An anderen Stellen wiederum gibt es ausgezeichnete Erklärungen, unter anderem zum Begriff „bricolage“, um nur ein Beispiel zu nennen.
Leider sind einige zentrale Begriffe (die sehr wohl, wenn auch bei anderen Begriffen „versteckt“, behandelt werden) nicht als Stichworte geführt: beispielsweise „écriture féminine“, „Queer Studies“, „Erfahrung“, „New Historicism“, „Gender“ und „Gender Studies“, „Orientalismus“, „Postmoderne“, „Geschlecht“, „Kulturwissenschaft“ oder „Hypertext“. Daß der „New Historicism“ beim Stichwort „Historismus“ zur Sprache kommt, ist zwar folgerichtig, aber keineswegs selbstverständlich. Dasselbe gilt für „Konnotation“ (bei „Denotation“) oder für „Écriture féminine“ (bei „feministischer Kritik“). Entsprechende Hinweise dazu wären m.E. notwendig gewesen. Ärgerliche – aber vermeidbare – Mißverständnisse sind wohl eher den Übersetzer/innen anzulasten: So habe ich erfahren, daß der mir unbekannte Begriff „Außerhalbbefindlichkeit“ für die Erfassung der Frage der Materialität in der zeitgenössischen Theorie zentral sei, und daß der – mir ebenfalls unbekannte – Begriff „Herbeirufen“ bei Althusser eine zentrale Rolle spiele. Die beigefügten Begriffsübersetzungen – extériorité, interpellation – können das Mißverständnis zwar aufklären, aber auch nur für den, der die Begriffe bereits kennt, denn „extériorité“ wird in der Regel mit „Außen“ oder „Exterritorialität“ übersetzt, „interpellation“ – oder „appellation“ – mit „Anrufung“.
Trotz dieser Einwände ist das Handbuch Literatur- und Kulturtheorie sehr zu empfehlen. Die bislang verwendeten Handbücher und Lexika kann der Band von Biti zwar nicht ersetzen, aber eine sehr sinnvolle und empfehlenswerte Ergänzung dazu ist er auf jeden Fall. Und gerade in einer Ergänzung – die preislich vertretbar sein dürfte – zu anderen Handbüchern entwickelt „der Biti“ seine großen Stärken: über weite Strecken detaillierte und sehr umfassende Informationen sowie einen Überblick, der über den Tellerrand westeuropäischer und angloamerikanischer Forschung weit hinausgeht.