#Sachbuch

Macht Literatur Krieg

Uwe Baur, Karin Gradwohl-Schlacher, Sabine Fuchs (Hg.)

// Rezension von Daniela Strigl (Hrsg.)

Macht Literatur Krieg? Diese Frage soll hier wohl mitgedacht werden. Irgendwie hat man den Eindruck, daß der Boden der braunen Literatur in Österreich nach langer wissenschaftlicher Brachzeit in den letzten zwanzig Jahren (man denke nur an die Arbeiten von Amann, Aspetsberger und Berger) schon einigermaßen umgegraben und beackert worden ist. Die Herausgeber dieses neuen, wohlbeleibten Sammelbandes wenden jedoch zu Recht ein, in der öffentlichen Debatte seien meist „besondere Fälle“ – wie etwa Karl Heinrich Waggerl oder Gertrud Fussenegger – und deren „Aufdeckung“ im Mittelpunkt gestanden. Und außerdem hätten die Pionierarbeiten auf dem Gebiet gerade die Kontinuität der handelnden Personen betont, ihren unter wechselnden staatlichen Firmenschildern ungestört voranschreitenden Geschäftsgang. Dabei und auch bei der mehr oder minder genüßlichen ästhetischen Durchleuchtung der verrufenen Blubo-Literatur sei die Einzigartigkeit des literarischen Lebens unter der siebenjährigen NS-Herrschaft zu kurz gekommen.

So gab es also doch Neuland für das Grazer Forschungsprojekt und ein Symposion, das in diesem Band dokumentiert ist. Gewisse Reiznamen der literarischen Vergangenheitsbewältigung finden sich freilich auch hier: Waggerl und Weinheber, Richard Billinger und Arnolt Bronnen werden jedoch nicht überführt, sondern sorgsam beleuchtet. Albert Berger faßt souverän, also sine ira et studio und ohne blicktrübenden „‚Erwischt!‘-Reflex“, Josef Weinhebers „politische Biographie“ zusammen: die fulminante Karriere eines lang verkannten Formkünstlers, der noch lyrische Grußadressen an den Führer verfaßte, als er sich innerlich längst mit Grausen abgewandt hatte. Spannend ist der Fall Richard Billingers, der die Nationalsozialisten einerseits mit erdig ackerschweren Bauernliedern ergötzte, andererseits mit magisch brünstigen Hymnen auf Faune und schöne Klosterbrüder und die Nacktheit des Hl.Sebastian irritierte. Karl Müller führt Billingers Gespaltenheit nicht wie üblich auf den Widerstreit zwischen Heidnischem und Christlichem zurück, sondern hält sich an die Ebene von Geschlecht und Charakter: Der Innviertler Kraftlackel war homosexuell und entging 1935 in München nur knapp einer gerichtlichen Verurteilung.

Eine für die offizielle Kulturpolitik ähnlich und gleich mehrfach brisante Figur war der Wiener Arnolt Bronnen, der nicht bloß als Pornograph, sondern auch als „Kulturbolschewist“ und Halbjude galt. Er rückte schon in den zwanziger Jahren nach rechts und an die Seite Joseph Geobbels‘, den er mit seinem nationalistischen Oberschlesien-Roman „O.S.“ (1929) begeisterte. Bei Kriegsende agiert er im Widerstand, mutiert zum Kommunisten. Friedbert Aspetsberger zeigt Bronnen, der sich mithilfe eines Vaterschaftsprozesses selbst „arisieren“ wollte, als Spielball der Rivalenkämpfe zwischen Goebbels und dem NS-Sittenwächter Alfred Rosenberg und gibt einen detaillierten Einblick in die Reibereien und Reibungsverluste der braunen Bürokratie.

Überhaupt ist es das Verdienst etlicher Aufsätze dieses Bandes, hinter der Fassade der monolithischen Reichskultur Zersplitterungen, Grabenkämpfe und rivalisierende Seilschaften sichtbar zu machen. So gab es um den führenden „ostmärkischen“ Kulturfunktionär und Anschluß-Vollstrecker Max Stebich ein ähnliches behördliches Tauziehen. Er gehört zu den weniger bekannten Figuren, denen aufschlußreiche Fallstudien gewidmet sind. Eine andere ist der wurzeltreue Berg-Romancier Karl Springenschmid, der sich nach Kriegsende aus Angst vor der Verhaftung ins Gebirge flüchtete und 30 Jahre später in einem Roman als „Der Waldgänger“ stilisierte. Beklemmend ist Eckart Frühs tapfer gegen den Ekel ankämpfende Studie über den vorbestraften Valentin Schuster, der als „Mungo“ im Wiener „Völkischen Beobachter“ eine gutgehende satirische Kolumne betreibt, bald als antisemitischer Wadlbeißer, bald als Wolf im Schafspelz schauerlich humorvoll: „Keiner wird angefaßt, höchstens mit der Zuckerzange.“ Da wird nicht in den Wind gereimt, aber reichlich Wind gesät.

Ein Zeitpanorama braucht viele Einzelbilder – sie werden abgerundet durch fundierte Analysen der gar nicht harmlosen heimischen Kinderliteratur, der Zeitschriftenszene vor und nach dem Anschluß, der Gleichschaltung des literarischen Vereinswesens oder der Kino-Arisierung in Wien, die bis heute die Lichtspiel-Landschaft prägt. Der Band wagt aber auch den umfassenden Blick auf die Prinzipien der NS-Kulturpolitik, wenngleich er hier nicht viel Neues enthüllt. Am interessantesten ist Johann Holzners Skizze der teils kirchenfesten, teils willfährigen Kulturszenerie Tirols. So wenig, dem Titel zum Trotz, nur von „Literatur“ die Rede ist, so wenig beschränkt sich das Unternehmen auf Österreichisches: Schweizer Verhältnisse zwischen Nazi-Infektion und stolzer Selbstbesinnung werden ebenso betrachtet wie das Feuilleton der „Krakauer Zeitung“, das in der NS-Presselandschaft einen erstaunlichen Freiraum eröffnet: eine Plattform der Inneren Emigration ausgerechnet im Kampfblatt der Besatzungsmacht.

Im Mai 1945 fand man in den Heizanlagen des Parlaments hunderttausende NS-Gauakten, deren Verbrennung offenbar am Sauerstoffmangel gescheitert war. Ein halbes Jahrhundert später kann man immer noch wesentlich Neues über die Mechanismen und Schaltstellen des hierzulande etablierten NS-Kulturbetriebs erfahren, über seine Angeln und Fußangeln, seine Schmiermittel – und seine Verzahnung mit der Kriegsmaschinerie.

Uwe Baur, Karin Gradwohl-Schlacher, Sabine Fuchs (Hg.) Macht Literatur Krieg
Österreichische Literatur im Nationalsozialismus.

Wien, Köln, Weimar: Böhlau, 1998.
487 S.; brosch.
ISBN 3-205-98451-X.

Rezension vom 25.09.1998

Originalbeitrag. Für die Rezensionen sind die jeweiligen Verfasser:innen verantwortlich. Sie geben nicht notwendig die Meinung der Redaktion wieder.

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