„Da diese Texte in (zum Teil sehr auflagenstarken) Zeitungen und Zeitschriften veröffentlicht und dort von einer breiten Leserschaft rezipiert werden, rücken die Verfasser allerdings in die Nähe der wenig prestigeträchtigen Unterhaltungsliteratur, deren Qualität ob ihrer Erfolge bei einem Massenpublikum angezweifelt wird“, bemerkt die Herausgeberin des hier vorliegenden Bandes in ihrer Einleitung. Zugleich aber, so betont sie zurecht, bietet die kleine Form, „insbesondere Autorinnen die Möglichkeit, literarisch aktiv zu werden und ihre Produkte auch öffentlich zu präsentieren.“ (S. 16) Und dass gerade Feuilletons literarische Schätze sondergleichen bieten können, hat die editionswissenschaftliche Feuilletonforschung der vergangenen Jahrzehnte durch zahlreiche Werkausgaben auch weniger prominenter Autorinnen und Autoren gezeigt – von Gina Kaus oder Ruth Landshoff-Yorck bis zu Anton Kuh und anderen. Rechtzeitig zu ihrem 130. Geburtstag am 24. Januar 2018 ist eine Sammlung von Feuilletons aus der Feder von Vicki Baum herausgekommen. Der Band, den Veronika Hofeneder, Literaturwissenschaftlerin an der Universität Wien und mit der Materie bestens vertraut, ediert hat, zeigt die Erfolgsautorin, die ja vor allem als Romanschriftstellerin bekannt ist, nun auch als äußerst versierte, als wirklich lesenswerte Feuilletonistin, die sich den unterschiedlichsten Themen der Zeit widmet.
Die 1888 in Wien geborene und 1960 in Hollywood gestorbene Vicki Baum hat im Verlauf von 45 Jahren über 160 Feuilletons für über 35 verschiedene Zeitungen und Zeitschriften geschrieben, davon wurden für die vorliegende Ausgabe gut 70 Texte ausgewählt und in chronologischer Abfolge nachgedruckt. Leider werden keine Auswahlkriterien mitgeteilt, und auch die Frequenz der Feuilletons (z. B. finden sich keine Texte aus den Jahren 1912 bis 1924) bleibt unerklärt. Dafür wird man aber mit einem kundigen Vorwort und einem hilfreichen Sachkommentar der Herausgeberin entschädigt.
Die in diesem Band versammelten Feuilletons stammen aus Wien, Berlin und Hollywood. Das älteste, eine Art Amoureske um den Jugendstildichter Felix Dörmann, erschien 1908 in dem satirischen Blatt „Die Muskete“ in Wien und war Vicki Baums erstes Feuilleton überhaupt, das letzte hier abgedruckte erschien 1941 in englischer Sprache im „Reader’s Digest“ in den USA und wird hier, wie andere späte Texte aus dem US-amerikanischen Exil auch, in deutscher Übertragung präsentiert. Apropos Hollywood, wohin sie 1932 übersiedelte und wo sie ja nicht nur sesshaft wurde, sondern auch – mit großem Erfolg – in englischer Sprache zu schreiben begann. Über Hollywood hatte sie offenbar keinerlei Illusionen. In einem Beitrag für das Ullstein-Blatt Uhu, „Unglücklich in Hollywood! Das Leben der großen und kleinen Sterne“, von 1932 lesen wir: „Hollywood ist ein Schlachtfeld, das im Paradies liegt. Kein Tag ohne Kampf. Kein Tag, ohne daß so und so viele fallen. Es gibt sehr viele Erfolglose. Es gibt sehr wenig Erfolgreiche. Und ob die Erfolgreichen glücklich sind – dazu mache ich ein großes Fragezeichen. Dumme, gedankenlose Menschen haben selten Erfolg, auch nicht beim Film. Kluge aber, die sich Gedanken machen, die fühlen sich nicht leicht glücklich – auch nicht beim Film. Wenn Greta Garbo glücklich wäre, so strahlend glücklich wie diese schönste und erfolgreichste Frau es sein müßte, dann hätte sie nicht diese nervöse Menschenscheu.“ (S. 259)
Das Gros ihrer Feuilletons publizierte Vicki Baum während der späteren 20 in den Periodika des Ullstein-Verlages, in dem sie zu dieser Zeit bekannterweise eine der führenden Redakteurinnen und Mode-Journalistinnen war, vor allem in dem illustren Zeitgeist-Magazin „Die Dame“ – im Nachhinein rechnete Vicki Baum diese Jahre bis zur Emigration in die USA 1932 ja auch zu ihren „glücklichsten, interessantesten und fruchtbarsten“.
Vicki Baum behandelt ausgesprochen ‚weibliche‘ bzw. als weiblich geltende Themen wie Mode, Tanz und Ballett, Reisen, sie äußert sich über Backfische, Frauen, Damen, die Liebe und die Erotik, über Eifersucht, Kosmetik für Herren und über Automobile. Es geht aber auch um brisante soziale Probleme wie den Umgang mit durchgebrannten Kindern („Kinder irren umher“, S. 70-74) oder dem in der Weimarer Republik heftig umstrittenen Abtreibungsparagraphen 218. Dazu bemerkt sie: „Wir Frauen sind ja mehr oder weniger Dilettanten im Juristischen. Aber wir sind mehr oder weniger Fachleute in der Angelegenheit, die der § 218 bestraft.“ (S. 225). Eine interessante Studie aus ihren Vorarbeiten zum Erfolgsroman „stud. chem. Helene Willfüer“ (S. 96-107) findet sich ebenso wie ein Reisebericht aus Russland, in dem sie die katastrophale Lage der dortigen Mode und der Art und Weise, wie die Frauen damit umgehen, berichtet. („Lippenstift, Parfüm und Spitzenwäsche in Sowjetrussland“, S. 205-207).
Was die Mode als ein ‚frauentypisches‘ Feuilleton-Thema angeht: In der „Vossischen Zeitung“ veröffentlich Vicki Baum 1929 einen lesenswerten „Protest gegen die Mode“ (S. 163-165), in dem sie postuliert: „Die Demokratie der Zeit bedingt eine Demokratie der Mode“ – sie wendet sich gegen aktuelle Entwicklungen der Modeindustrie, aufwendig zu schneidernde und damit teure Modelle zu propagieren. Dagegen setzt sie ihre Auffassung von „Demokratie der Mode“, wie sie in den letzten Jahren geübt worden sei: „Diese einfach und selbstverständlich gebauten Kleider konnte jeder kopieren, die Konfektion stellte sie billig her, und wer noch weniger Geld zur Verfügung hatte, schneiderte selber nach den einfachen Schnitten, die es überall gab. Das war ein durchaus gemäßer und entsprechender Zustand in einer Zeit, da die Frauen in breitesten Massen beruflich arbeiten, wenig Zeit haben, nett aussehen sollen und nicht viel dafür ausgeben können.“
Die Titelgeschichte „Makkaroni in der Dämmerung“ – diese Wendung soll im Ullstein-Verlag rasch zu einem geflügelten Wort geworden sein – polemisiert gegen bestimmte Tendenzen in der neusachlichen Fotografie, die mit immer denselben Tricks arbeite: „Zweihundert Zwirnspulen auf einer Tischplatte, ein bißchen Lichtspielerei und ein bißchen Perspektivzauber. Ich meine: Achtzehn Paar Schuhe hintereinander aufgestellt, und so von schräg unten aufgenommen, daß sie wie eine Straße oder ein Turm aussehen. Marke: Sachliche Fotografie. Ich meine: Aus einem Jutesack (wunderbar wie das Material lebt! sagt der Kenner) fließen dreieinviertel Pfund geschälter Reis. Sieht das nicht wunderbar aus? Ja, liebe Fotografen, das sieht wunderbar aus, wenn man es zum erstenmal sieht. Auch beim drittenmal noch macht es Eindruck und beim zehntenmal Vergnügen. Aber beim hundertstenmal fängt es an, langweilig zu werden.“ (S. 209)
Wie denn Vicki Baum bestimmten stromlinienförmigen Tendenzen im Leben der zwanziger Jahre durchaus kritisch gegenüber steht, so bei der Erziehung: „Jetzt also sind wir an der Reihe, Mütter zu sein, wir Dreißig-, Vierzigjährigen. Die Eierschalen des neunzehnten Jahrhunderts haben wir nach Möglichkeit abgestreift – manchmal klebt auch noch ein Stückchen davon fest an uns, ohne daß wir es wissen –, und nun versuchen wir mit unserer Brut Takt zu halten.
Erziehung sieht jetzt zum Beispiel so aus: Mein Junge sitzt oben auf dem Dach der Laube mit der Stoppuhr in der Hand, und ich muß unten Dauerlauf üben. 700 Meter, 1000 Meter, 1500 Meter. »Zuck-zuck!« schreit der Junge oben, wenn ich ziemlich atemlos meine dritte Runde vorbeistrample, »nicht abfallen! Nicht nachgeben!« Nein, wo werde ich denn nachgeben, Junge. Es kommt uns ja so sehr darauf an, uns nicht vor euch zu blamieren, das feine Gespinst der Kameradschaft nicht zu zerreißen, in das wir euch eingefangen haben. Respekt und Vertrauen ist eine Sache geworden, die Mütter sich täglich neu verdienen müssen. Verlangt wird von uns: Daß wir nett und nicht alt aussehen, aber doch wie Mütter aussehen, das heißt ohne Lippenstift und Haarfärbemittel und all die Dinge auskommen, die schon die Neunjährigen als Kitsch bezeichnen.“ („Die Mütter von morgen – die Backfische von heute“, S. 140f.)
Die in diesem Band versammelten Feuilletons von Vicki Baums Feuilletons sind höchst willkommen – sie erweitern nicht nur das Bild der Bestsellerautorin, sondern auch das der ‚kleinen Form‘, über die die Autorin gelegentlich reflektiert (so in dem Text „Vergessenes Parfüm. Eine ungeschriebene Novelle“, S. 148-157). Ein Vorbild ist dabei sicher Alfred Polgar, über dessen unvergleichliche Feuilletons Vicki Baum 1927 geurteilt hat: „Er jongliert mit den Dingen der Welt und der Seele, er jongliert mit Worten und Begriffen, alles steht am Kopf, fliegt davon, kehrt zurück und kommt in Ordnung. Es gibt keine Schwerkraft mehr.“ (Zitiert im Vorwort, S. 8)