Malibu Orange – das ist eigentlich das Getränk, mit dem Anja auf ihre Kündigung anstoßen wollte. Nachdem sie vor Überarbeitung einen Gehörsturz erlitt, zog die diplomierte Krankenpflegerin die Reißleine. Zurück im Elternhaus, mitten im obersteirischen Industrieviertel, will sie sich zunächst erholen und mit ihrer besten Freundin den schönen Seiten des Lebens frönen. Auf Magda wäre Verlass, denkt die Protagonistin, immerhin lehnt sie auch sonst spießige Lebensentwürfe kategorisch ab.
Doch statt mit dem gemeinsamen Lieblingscocktail auf Anjas neu gewonnene Freiheit anzustoßen, wird Magda in der heruntergekommenen Dorfbar mit einem neuen Freund vorstellig. Volker, blass und „erstaunlich weiß bekleidet“ (S. 34), ist Anja von Anfang an suspekt, passt er doch so gar nicht zu Magdas rebellischem Lebensstil. Von da an nimmt die Geschichte Fahrt auf: Während bei Anja, ohne Job und Verpflichtungen, die Zeit ein bisschen stillzustehen scheint, überschlagen sich für Magda die Ereignisse. Sie beginnt ein Studium, zieht mit Volker auf einen abgelegenen Bauernhof, schmeißt die Ausbildung wieder hin und verlobt sich.
Schritt für Schritt wechselt Magda ihre nonchalante Lebenseinstellung mit konservativen Vorstellungen. Und, was Anja am meisten stört: Die früher so enge und verlässliche Freundin meldet sich kaum noch. Die neue Beziehung nimmt Magda völlig ein. Der Roman wirft hier Fragen über die Grenzen und Veränderungen von Freundschaften auf. Was passiert, wenn sich das Leben einer Freundin, und vor allem sie selbst, plötzlich dramatisch ändert? Wie viel Loyalität ist man bereit, in eine Freundschaft zu investieren, und wann ist es Zeit, loszulassen? Durchaus bezeichnend ist, dass ausgerechnet Anjas Großmutter das meiste Verständnis für die Empörung ihrer Enkelin zeigt. Während etwa Roli, ein ähnlich alter Kollege, oder ihre Eltern der Meinung sind, Magda habe in ihrer neuen Beziehung schlicht ihr Glück gefunden, erkennt die betagte Frau am klarsten, welches bedeutende soziale Netz Magda durch diese isolierende Liebe aufs Spiel setzt.
Auch in Anjas beruflicher Auszeit stellt sich die Großmutter auf ihre Seite und bestärkt sie, sich zu erholen. Dagegen entpuppt sich das Elternhaus nicht als der erhoffte behagliche Rückzugsort. Spätestens bei den allabendlichen Familienessen lassen sich die Spannungen und Unterschiede der Generationen nicht mehr unterdrücken. Die Autorin ist um Diplomatie bemüht und versucht, beide Blickwinkel aufzuzeigen: Auf der einen Seite sind die Eltern, die sich für ihre Tochter Sicherheit und damit ein geregeltes Einkommen wünschen. Auf der anderen Seite steht Anja, die sich dem Hamsterrad nicht mehr aussetzen möchte und sich perspektivlos fühlt. Am Ende mangelt es an gegenseitigem Verständnis. Haidacher arbeitet mit langen, aber klaren Sätzen, die die aufgestaute Wut und das gegenseitige Unverständnis spürbar machen. Diese offen und weniger offen ausgetragenen Konflikte sind es, die für einen mitreißenden Lesefluss sorgen.
Dass Haidacher neben ihrer schriftstellerischen Tätigkeit auch als Kabarettistin auf der Bühne steht, zeigt sich in den zahlreichen humorvollen bis absurden Szenen. So flieht Anja nach der Tirade ihres Vaters über die angeblich verkommene und faule Jugend durch einen Waldweg auf eine Weide, wo sie auf eine Kuh trifft. Die Anwesenheit der Kuh irritiert sie, sie nennt das Tier eine „Voyeurin“ (S. 95) und verabschiedet sich schlussendlich mit einem trotzigen „Ah ja und danke für die Buttermilch!“ (S. 95) Wer diese Art von Witz, der ohne nachvollziehbare Logik auskommt, schätzt, wird an Haidachers Gespür für die Absurditäten des Alltags viel Freude haben.
Mit Malibu Orange, einem Roman über (Care-)Arbeit und Generationenkonflikte, trifft Haidacher den Nerv der Zeit – und bleibt eben deswegen auch ein bisschen im Mainstream verhaftet. Themen wie die Orientierungslosigkeit in den 30ern oder die Frage, ob man sich für ein konventionelles Leben oder gegen gesellschaftliche Normen entscheiden soll, sind nicht gerade neu. Allerdings verarbeitet Haidacher diese bekannten Narrative mit einer solch sprachlichen Raffinesse, dass der Roman nichtsdestotrotz zu einer unterhaltsamen, fesselnden Lektüre wird. Anjas Suche nach Orientierung führt sie schließlich zu ihrer Großmutter, die das Leben bereits 80 Jahre lang gemeistert hat. An deren Sterbebett gesteht die Enkelin: „Ich check nicht, wie leben geht.“ (S. 200) Genau dieser lockere, fast trotzig klingende Ton verleiht Malibu Orange seinen Charme und macht den Roman zu einem gelungenen Mix aus Humor und Gesellschaftskritik.
Alexandra Höfle, geboren in Bregenz, studierte Deutsche Philologie, Publizistik und Kommunikationswissenschaft in Wien. Ausgebildet zur Kulturmanagerin an der Universität für angewandte Kunst. Arbeitet aktuell für den Kultursommer Wien und ist nebenbei Redakteurin beim Magazin Buchkultur.