Die Binnengeschichte scheint sich in der Antike abzuspielen. Die Protagonisten Menandros und Thaïs verlieben sich und heiraten in der Nähe von Athen. Doch kurz nach der Vermählung kommen Piraten und plündern die Feier. Menandros wird bewusstlos geschlagen und Thaïs entführt. Die See-Piraten bringen sie in die kleinasiatische Stadt Kyme und verkaufen sie dort an Adramys. Dieser behandelt Thaïs gut. Doch sie erfährt bald, dass Adramys in einer Sekte ist und ihre Jungfräulichkeit opfern möchte. Daraufhin flieht Thaïs in ein Waldhaus, wo sie von abscheulichen Waldriesen gefangen gehalten wird. Sie wollen sie lebendig verspeisen. Allerdings hilft ihr ein Zwerg, der sich in sie verliebt hat, und beide fliehen in seine Heimat hinter dem Kaukasus.
Währenddessen macht sich Menandros auf dem Weg, Thaïs zu retten. Doch kommt er immer einen Tick zu spät: bei Adramys und im Waldhaus. Bald verliert er die Spur seiner geliebten Frau. Er fährt in Richtung Odessa an der Schwarz-Meer-Küste entlang und gelangt zu den Skythen, etwa in der heutigen Ukraine. Dort wird er einer der Heeresführer und kämpft blutvergießend und brutal gegen verfeindete Völker der Skythen. Ein anderer skythischer Heeresführer erobert das Zwergendorf. Thaïs wird nicht gefangen genommen, sondern verehrt, da die Skythen in ihr eine ihrer Götter erkennen. Sie wird in die Hauptstadt gebracht, doch Menandros schaut nicht vorbei, weil er an die skythischen Götter nicht glaubt und sich zudem auf den Kampf gegen das Perserreich von Xerxes vorbereitet. Dieser Krieg geht verloren und Menandros flieht in die Wüste – wird er Thaïs je wiedersehen?
Soweit die Binnengeschichte. Die Rahmenhandlung hingegen spielt in unserer Zeit. Es geht um einen Mann, der seine Trauer um seine Ex-Frau verarbeitet. Er fährt nach jahrelanger Überwindung von Wien nach Gmunden. Dort hat er Verwandte. Aber es ist auch der Ort, wo seine Ex sich im Sommer aufhält. Er hofft, sie wiederzusehen. Auch um dieses Kapitel in seinem Leben abzuschließen.
Dem Autor Cikán ist eine außergewöhnliche Hommage an den Abenteuer- und Liebesroman gelungen. Eine dramatische Liebessuche, phantastisch auftretende Figuren und schmückende Adjektive, aber auch ironische und anachronistische Elemente sind in die Geschichte eingeflossen: etwa Waschmaschine, Kirmesmarkt, Zuckerwatte und Guglhupf. Albern? Nicht unbedingt, wenn man bedenkt, dass in Mythen und heroischen Geschichten vergangener Zeiten, die mündlich überliefert und zu einem späteren Zeitpunkt aufgeschrieben wurden, ebenfalls Gegenstände oder Elemente späterer Epochen verarbeitet wurden.
Und doch man fragt sich, warum diese ausgedehnte antikenartige Geschichte in einer ausgedünnten Rahmenhandlung der Jetztzeit eingebettet ist. Man kann die Binnengeschichte als Reflexion der Liebestrauer sehen. Und auch als Wunsch des Mannes heldenhafte Taten zu vollbringen. Wobei er einem Ideal nachtrauert samt veraltetem Ehrbegriff und traditionellem Mann-/Frau-Bild. Eine Welt, wo die Geschlechterrollen klar verteilt sind und Männer Helden sind.
Der gebürtige Prager Ondrej Cikán, Open-Mike-Teilnehmer 2009 und Mitbegründer der Wiener Literaturgruppe Die Gruppe (www.cikanvitouchgruppe.blogspot.com/) hat mit seinem Debütroman gezeigt, dass es heute noch möglich ist, eine unterhaltsam-spannende Geschichte nach antikem Vorbild zu schreiben. Erstaunlich erfrischend – gerade weil es nicht zeitgemäß ist!