Dieser Markt ist mittlerweile so groß geworden, daß die Schönheitsoperation kein exklusives Privileg der zumeist amerikanischen Reichen und Schönen (ja, Schönen!) ist, sondern daß im Hauptabendprogramm hiesiger öffentlich rechtlicher Sender lang und breit im Konsumentenschutz-Stil diskutiert wird über mißlungene und „geglückte“ Fettabsaugungen, in Anwesenheit von Betroffenen und von Experten, ohne daß das Phänomen an sich, das vom ohnehin mehr als fragwürdigen „Recht“ zur perversen „Pflicht“ sich zu entwickeln droht, in Frage gestellt würde.
1999 ist Bettina Balàka für ihren Text Messer mit dem Ö-1-Essay-Preis ausgezeichnet worden. Dieser Text liegt nun bei Droschl vor, wo auch Balàkas belletristisches Werk – zuletzt: „Der langangehaltene Atem“ – verlegt wird, publiziert „in memoriam Lolo Ferrari“. Zum Gedenken einer Frau also, die vom durch zahlreiche kosmetische Eingriffe aufgespritzten und ausgestopften Objekt der Begierde nach ihrem makaber-tragischen Tod mutiert ist zum Objekt von Witzen, die ums Platzen kreisen.
Damit ist auch sofort sehr pointiert und offensiv angesprochen, worum es Balàka auf den nächsten 35 Seiten geht. Um Subjekt-Konstituierungen und Objekt-Konstruktionen. Um eine systemkritische Abrechnung mit patriarchalen Strukturen vom alltagssexistischen Blödsinn bis zum gesellschaftspolitischen Wahnsinn. Daß der Wahnsinn nicht erst beim Silikon-Implantat beginnt, sondern bereits beim kollektiv-kopistischen Einheitsstyling, und beim Ausreizen jeglicher Grenzen endet, schildert Balàkas exakt geführtes „Messer“ auf eindringliche Weise.
Wie in Diedrich Diederichsens Essay-Sammlung „Politische Korrekturen“ (1996) wird auch bei Balàka das pseudoliberal genervte Aufstöhnen gegen „Political Correctness“ entlarvt als denunziatorische und anti-kritische Geste. Was Balàka allerdings in bemerkenswert analytischer Weise und bitterböser Sprache ebenso aufzeigt, ist die Unterwerfungswilligkeit der Frauen, die solche Gesten ebenso gut beherrschen, die sich abspeisen haben lassen mit der angeblichen Eigenmächtigkeit und Eigenverantwortung über ihre Körper und Karrieren, das Mitläufertum der Frauen, die sich kaufen und für blöd verkaufen haben lassen mit (ohnehin mickrigen) Anteilen am Markt und mit „dialektischen Kurzschlüssen“, die ihnen weismachen konnten, es sei Ausdruck ihrer Freiheit und ihrer Autonomie, bezahlen zu können.
Sprachlich gekonnt, entwirft Balàka die Passivität der weiblichen Beteiligten, die zum puren Material geworden sind, etwa durch Partizip-Reihungen: „diese Körper, in Schwerstarbeit zurechtgestrafft, trainiert, enthaart, fettabgesaugt, collagenimplantiert, massiert, gebürstet, gepeelt, laserbehandelt, heruntergehungert“ (S. 11). In einer Formulierung wie „Der Tabubruch ist totgebrochen“ (S. 15) schwingt das ganze nachvollziehbare Zum-Kotzen-Finden mit.
Im Wesen der Gattung „Essay“ liegt neben der forcierten Subjektivität auch die bewußte Unvollständigkeit. Ein Thema braucht im Essay nicht erschöpfend erörtert zu werden, ja, kann und soll es gar nicht. Insofern ist es nicht Kritik am Essay, sondern Anregung zum Weiterdenken, sich auseinanderzusetzen mit der bei Balàka nicht erwähnten französischen Künstlerin Orlan beispielsweise, die ihren Körper seit Jahren immer wieder Operationen unterzieht, um seine Grenzen zu erweitern, und dies als feministische Praxis versteht. Auch das Phänomen Cybersex oder der virtuelle Körper findet keinen Eingang in die Ausführungen der Autorin.
Balàka geht es wohl zunächst einmal darum, am Naheliegenden und am konkreten Körper zu bleiben, an der jungen Durchschnittsverdienerin, die auf die Fettabsaugung hinspart, an der Genitalverstümmelung und an der Verhetzung ganzer (Frauen-)Generationen durch die omnipräsenten Bilder und die perfektionierte Propaganda von globalisiertem Kapitalismus und Patriarchat.
Durch bemerkenswerte Rhetorik ist allerdings selbst die behauptete Resignation in Balàkas Sprache so kraftvoll, daß sie nur schnaubend und sprachlich gleichsam messerwetzend kapituliert: „[…] Taktisch, Burschen, und strategisch und überhaupt, seid ihr uns so unglaublich überlegen, daß wir hiermit Stimmen und Hände senken und resignieren. […], wir haben es gekauft und gefressen, ihr habt gesiegt, gesiegt, gesiegt und bewiesen: Frauen sind einfach eindeutig tatsächlich das bescheuertere Geschlecht.“ (S. 29)
Gewagt ist auch die Anprangerung zeitgenössischer Kunst, die dem Tabubruch verschrieben sei und damit laut Balàka zum „freien Mitarbeiter der Sexindustrie“ (S. 16) geworden. Die Autorin weiß mit Sicherheit, daß ihr mit solcher Kritik auch der Beifall „der falschen Seite“ sicher ist, und dennoch läßt sie sich nicht abbringen von ihrer aggressiven Anklage, die keine Messerspitze Ironie enthält; zu ernst scheint es der Autorin mit ihrer Attacke und ihrem angedeuteten Plädoyer für einen anderen Kulturbegriff, wenn schon nicht eine andere Gesellschaft: „Aber: müßte Kunst nicht immer wieder mal Nein schreien in den heiter fortschreitenden Wahnsinn gesellschaftlicher Entwicklung? Eine Enklave der Verweigerung sein?“ (S. 17)
Subjektivität und Engagement gelten als Merkmale des Essays, dort kommen daher in der Regel im Gegensatz zur wissenschaftlichen Abhandlung auch keine Fußnoten vor. Da mutet es zunächst auch seltsam an, ein Literaturverzeichnis vorzufinden, aber dieses ist ein medial erweitertes und enthält auch zwei ungeheuerliche Internet-Links, die das Phänomen der „Liposuction“ veranschaulichen, das von Jahresbeginn bis 4. September immerhin schon beachtliche 32.913 „Besucher“ [!] interessiert hat, und die auch Einblick gewähren in das, was wir immer schon über „Laser Vaginal Rejuvenation“ und Co. wissen wollten.
Was nun eigentlich das „Thema“ dieses Essays (oder des Essay-Wettbewerbs) war, kann man sich fragen. Das ausgehende Jahrhundert? Eine Bilanz über hundert Jahre Frauenbewegung? Die Welt als Peep- und Talkshow? Krieg der Geschlechter? Der entzauberte Mensch? Die depravierte Gesellschaft? Ganz klar faßbar wird das nicht. Und „Messer“ hat ja auch keinen näher erläuternden Untertitel. Dennoch sind mit dem „Messer“ nicht nur die Waffe und das Instrument (des Chirurgen etwa), sondern auch das Messen, das Vermessungs-Instrument angesprochen. Somit geht es nicht nur um Gewalt und Macht, sondern auch um Normen.
Balàka ist keine Scharfschützin, sondern eine höchst professionelle Messerwerferin, die nicht schlicht und einfach ins Schwarze trifft wie am Schießstand, sondern die (was eine Kunst ist!) ihr Ziel exakt anpeilt und um Haaresbreite „verfehlt“, in mehreren, rasch und sicher ausgeführten Würfen, und es damit umreißt, so daß aus den Umrissen – bleibend und deutlich – Konturen sichtbar werden. In dem Fall die Konturen einer bis ins Detail neoliberalen, kapitalistischen und sexistischen Lebens- und Gesellschaftsform.