#Prosa

Minihorror

Barbi Marković

// Rezension von Harald Gschwandtner

Im neuen Buch von Barbi Marković fängt der Horror immer wieder von Neuem an. Man kennt das aus seriellen Comic-Formaten: Auch wenn Mini und Miki, die beiden Protagonist:innen von Minihorror, nicht heil aus einer Sache rauskommen, sich trennen oder voneinander entfremden, am Beginn der nächsten Geschichte sind sie wieder Seite an Seite bereit für ein neues Abenteuer.

Minihorror, nach Ausgehen, Graz, Alexanderplatz, Superheldinnen und Die verschissene Zeit das fünfte Buch von Barbi Marković, ist ein Spiel mit Erzählmustern und -konventionen, ein Buch voller Fallstricke und Wendungen, und vor allem: Minihorror ist ein großer literarischer Spaß.

Schon der erste Absatz der ersten Geschichte deutet an, nach welchen Spielregeln das Folgende funktionieren könnte: „Mini und Miki wollen nett sein, aber nichts ist einfach. Die Welt ist schrecklich, alles muss sterben. Die beiden müssen ziemlich viel erleiden, und genau dafür lieben wir sie.“ (S. 5)  Mini und Miki sind Freunde, sind ein Paar, Stück für Stück erfahren wir in den mal längeren, mal kürzeren Geschichten des Buches etwas aus ihrem Leben. Mini etwa stammt aus Serbien, Miki hingegen aus einer kleinen Stadt in der österreichischen Provinz. Und man merkt bald: Auch die Herkunftswelten der beiden können ein Quell des Horrors sein.

Minihorror heißt dieses Buch nicht nur, weil Mini als Figur ihn erlebt, sondern auch, weil der Horror sich oft aus dem Kleinen und Alltäglichen ergibt. Wer Freude an literaturgeschichtlichen Filiationen hat, könnte an die vor mehr als fünfzig Jahren ebenfalls im Residenz Verlag erschienene Anthologie Der gewöhnliche Schrecken (1969) denken, in der Peter Handke das Who-is-Who der damaligen österreichischen Literatur versammelt hatte: Gert Jonke und Barbara Frischmuth, Ernst Jandl und Elfriede Jelinek, Thomas Bernhard und H. C. Artmann.

Der Schrecken in Minihorror kann sich einstellen, wenn sprachliche Bilder wörtlich genommen werden („in ein tiefes Loch stürzen“, S. 18), ohne dass die Figuren durch diese Rückübertragung aus der Sprache in die erzählte Welt nachhaltig aus der Fassung gebracht werden. Etwa als ein Freund der beiden, der stundenlang über sein gelungenes Leben räsoniert, von einem Moment auf den anderen buchstäblich „zerfällt“: „Miki sieht zu Boden. Unter den Sesseln, bei der Tür, sogar auf dem Schrank liegen Teile des Freundes.“ Sie reagieren irritiert, und doch gefasst: „Stück für Stück sammeln Mini und Miki ihren Freund auf und setzen ihn, so gut sie können, zusammen, damit er im Taxi seine Adresse sagen kann.“ (S. 128) Es sind gerade diese Kipppunkte zwischen Surrealität und Pragmatismus, in denen Minihorror besonders hell leuchtet.

Bei aller spielerischen Freude passiert das, wovon Minihorror erzählt, aber ganz ausdrücklich und notwendig im Hier und Jetzt, unter den Bedingungen einer Gegenwart, die für junge Leute wie Mini und Miki von Zukunftsangst und Orientierungssehnsucht geprägt ist. Anders als in vielen klassischen Horrorerzählungen sind die Schauplätze nicht abgelegene Berghütten, sondern Büros und Wohnzimmer von Menschen, die am nächsten Tag wieder zur Arbeit müssen. Als Miki nach einer verstörenden Begegnung plötzlich nicht mehr sicher ist, ob er noch lebt oder schon gestorben ist, treibt ihn auch die Frage nach dem Verhältnis von Untot-Sein und Erwerbsarbeit um: „wenn ich nicht lebe, wenn ich krepiert und begraben und verabschiedet bin, […] soll mir BITTE jemand erklären, WARUM ich noch Vollzeit arbeite?“ (S. 67)

Minihorror handelt von den Abgründen der Leistungsgesellschaft, von Menschen, deren Leben von der Arbeit „gefressen“ wird, von einem Leben, das keine Scream-Masken und keine Duschvorhänge braucht, damit es manchmal zum Gruseln ist. Als Miki einmal einen „perfekten Tag“ erlebt, schafft er es nicht, das wirklich zuzulassen: „Je schöner der Tag wird, desto mehr achtet Miki auf Details und versucht sich nicht zu sehr zu freuen. Miki möchte auf keinen Fall den Augenblick versäumen, in dem der Trend wechselt, in dem das Leben sich wieder dreht und alles bergab zu laufen beginnt.“ (S. 108) Miki ist mit dem Schrecken des Alltags vertraut, und er misstraut seiner Abwesenheit.

Schön, dass der Residenz Verlag der Versuchung widerstanden hat, Minihorror als Roman zu labeln, zumal nicht zu übersehen ist, dass die Autorin mit Hintersinn, Humor und Entschiedenheit von Genrekonventionen Abstand nimmt. Am Ende des Buches findet sich – neben einer Rollenspiel-Anleitung und einer „Gastgeschichte“ von Mercedes Kornberger – eine Liste mit „105 weiteren möglichen Horrors mit Mini und Miki“ (S. 161-186). Sie ist ein wildes Sammelsurium, das die Zumutungen des Alltags („Miki sucht eine Ärztin, aber es gibt inzwischen nur noch private“; „Miki hat zugenommen und hat absolut nichts mehr zum Anziehen“, „Ein Opernsänger zieht in Minis und Mikis Haus ein“) ebenso enthält wie klassische Horrorsequenzen mit Zombies und blutrünstigen Monstern.

In einem Interview hat Barbi Marković einmal gesagt, sie habe als junge Autorin beschlossen, sich „im Schreiben nix zu scheißen“. Ihr noch auf Serbisch geschriebenes Debüt war ein wilder Remix von Thomas Bernhards Erzählung Gehen, das 2009 unter dem Titel Ausgehen bei Suhrkamp erschien. Es zeugte davon, dass hier jemand angesichts der literarischen Tradition nicht in Ehrfurcht erstarrte, sondern ihr mit aller gebotenen Coolness entgegentrat. Diese Coolness des Erzählens, die etwas einnehmend Eigenständiges hat, ist bis heute ein Kennzeichen der Autorin Barbi Marković.

 

 

Harald Gschwandtner, geb. 1986, Literaturwissenschaftler, Kritiker und Lektor, Mitarbeiter des Jung und Jung Verlags, lebt in Salzburg. Veröffentlichungen zur österreichischen Literatur des 20. Jahrhunderts, u. a. Strategen im Literaturkampf. Thomas Bernhard, Peter Handke und die Kritik (Böhlau, 2021).

Barbi Marković: Minihorror
Salzburg/Wien: Residenz, 2023.
186 Seiten, Hardcover.
ISBN: 9783701717750.

Homepage von Barbi Marković

Verlagsseite mit Informationen zu Buch und Autorin und einer Leseprobe

Rezension vom 17.10.2023

Originalbeitrag. Für die Rezensionen sind die jeweiligen Verfasser:innen verantwortlich. Sie geben nicht notwendig die Meinung der Redaktion wieder.

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