#Sachbuch

Morbides Wien und
Wiener Schnitzeljagd

Hans Veigl, Hannes Sulzenbacher

// Rezension von Evelyne Polt-Heinzl

Mag auch die Kombination von „morbid“ und „Wien“ ein wenig abgegriffen und klischeehaft wirken, die Wienhistorien, die Hans Veigl hier zusammenstellt, bringen mehr an Überraschung und weniger gängige Information als der Titel vielleicht erwarten läßt.

Natürlich fehlt nichts vom Standardrepertoire zum Thema – Zentralfriedhof, Friedhof der Namenlosen, Kapuzinergruft und Herzgrüftl, Narrenturm, Angelo Soliman, der Dritte Mann aus dem Wiener Kanalnetz, der Selbstmord Otto Weiningers – alles da. Aber die fundierte und oft spannende Kontextuierung der einzelnen Orts-, Personen- und Zeitporträts halten die Lust am Weiterlesen wach. Leicht getrübt wird sie mitunter durch die etwas obsessive Überrepräsentanz der diversen Wiener Hinrichtungsstätten, aber selbst darunter findet sich manche Perle, wie die Geschichte vom Ringtheaterbrand 1881 als Glied in der langen Kette eines verrufenen Genius loci. Auch auf den ersten Blick vielleicht weniger reißerische Themen, etwa Anton Fernkorns patriotische Heldendenkmäler auf dem gleichnamigen Platz, runden sich oft zu interessanten Zeitbildern. Und an bemerkenswerten Details ist kein Mangel. Gleichsam im Vorbeigehen ist zu erfahren, wo das einzige von Herzmanovsky-Orlando erbaute Mietshaus steht, wie die Geschichte mit Haydns gestohlenem Kopf ausgegangen ist, daß der Wildbach Als in Doderers literarischem Porträt des neunten Bezirks immer wieder vernehmlich aus dem Unterirdischen heraufrauscht, wie Horváth 1988 in den Wiener Wald heimkehrte und daß der Prater in die Weltliteratur schon durch Goethes Faust als Inbegriff einer frühen Erlebnislandschaft Eingang gefunden hat. Und was bei keinem der Themen fehlt, sind Reflexionen und Recherchen zur jüngeren Vergangenheit des Nationalsozialismus. Sei es die traurige Rolle des Aspangbahnhofs im Zusammenhang mit den Judentransporten, die Hinrichtungen im Wiener Landesgericht oder die Protesterklärung des späteren Bundeskanzlers Josef Klaus, mit der er 1932 gegen die Ernennung eines jüdischen Dekans Stellung bezog.

Mit dieser Ebene von Veigls Buch ist man schon ein wenig gerüstet für Hannes Sulzenbachers Wiener Schnitzeljagd, die sich für Wien-Interessierte als gesellige Abendunterhaltung im kleineren Kreis anbietet. Zu lösen sind die literarischen und anderen Rätsel nur portionsweise, das Nachdenken strengt an. Denn einfach macht es der Autor seinen Ratern nicht. Die vierzig Rätsel setzen sich in unterschiedlichen Formationen aus mehrteiligen Fragen zusammen, es gibt zu den „gesuchten Orten“ „Bildungswege“ verschiedenen Zugangs, „Umwege“, „Abwege“ und viele vom Autor nicht deklarierte Irrwege. Es empfiehlt sich in jedem Fall, die kurzen Texte genau zu lesen. So erfährt man nicht nur einiges aus den Fragen, sondern kann sich in der Regel den mehrteiligen Antworten mit vereinten Kräften zumindest annähern. Als ideale Zusammensetzung des Rateteams hat sich beim Probelesen eine Mischung aus Literaturkennern, Musikliebhabern, Zeithistorikern (sehr wichtig) und Ortskundigen bewährt. Im Anhang finden sich „fast alle Lösungen und ein Gewinnspiel“, die ähnlich hinterhältig formuliert und strukturiert sind wie die Rätselfragen selbst. Verraten darf hier naturgemäß nichts werden, nur so viel: des Gesamträtsels Lösung ergibt eine Millionensumme, und diese Zahl ist zugleich (mit der vorangestellten Wiener Vorwahl) die Faxnummer, bei der ein „kleines Wien-Geschenk“ auf die ersten zehn Gewinner wartet – was es vermutlich noch lange tun wird. Aber es hat Spaß gemacht.

Hans Veigl Morbides Wien. Die dunklen Bezirke der Stadt und ihre Bewohner.
Wien, Köln, Weimar: Böhlau, 2000. (edition böhlissimo).
303 Seiten, mit Abbildungen, broschiert.
ISBN 3-205-99176-1.

Verlagsseite mit Informationen über Buch und Autor

Hannes Sulzenbacher Wiener Schnitzlejagd. Literarische und andere Rätsel für Heimische und Fremde.
Wien: Löcker, 2000.
95 Seiten, mit Abbildungen, gebunden.
ISBN 3-8540936-5.

Rezension vom 30.05.2001

Originalbeitrag. Für die Rezensionen sind die jeweiligen Verfasser:innen verantwortlich. Sie geben nicht notwendig die Meinung der Redaktion wieder.

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