Nun hat die Edition Das Fröhliche Wohnzimmer eine gewisse Tradition im Veröffentlichen „unbrauchbarer Texte und Bilder“, wie mensch auch dem programmatischen Untertitel der Hauszeitschrift entnehmen kann, und im Sinne des Hauses sind die Texte in Gerhard Jaschkes Bändchen NACH WIE VOR ganz definitiv unbrauchbar. Fragmente reihen sich da aneinander, zusammengehalten von Anagramm-Spielereien und Reim-dich-oder-ich-fress-dich-Konstruktionen, die im freien Fall Richtung völliger Sinnleere aus irgend einem Grund einige Meter über dem Boden verharren durften und von dort aus fröhlich vor sich hinkrähen. Keine Frage, dieses handschriftliche Büchlein ist art pour l’art im alten Sinne des Wortes und wirft wieder einmal die Fragen auf, die von Erzeugnissen einer solchen Kunstauffassung stets ausgingen (siehe oben). Wie mensch dazu steht, ist eine Sache, anerkannt werden muß so oder so, daß der Freibord-Herausgeber Jaschke – heute, da die goldenen 20er schon 80 Jahre in der Vergangenheit liegen – den einen Punkt gefunden hat, der bei „dadaistischen“ Arbeiten den Unterschied zwischen der totalen Bedeutungslosigkeit und dem im Rezipientenkopf wohlplatzierten Fragezeichen ausmacht.
Das Werk beginnt mit einer Art Motto: „(hand)schriftlich“ – umblättern – „nach wie vor hand- / schriftlich, fußnotlich(t)“. Genau das ist, was in dem Werk geschieht. Ohne große Mühen der Gestaltung zu heucheln, wird Seite für Seite ein kleines Textchen handschriftlich präsentiert, aufgeladen mit mehr oder weniger Sprachspielereien (wobei Anagramme und windschiefe Schüttelreime wie gesagt die mit Abstand beliebtesten Stilmittel sind) und mehr oder weniger Inhalt. Die Folge-Richtigkeit der Reihen-Folge ist eher etwas, das ich bei der Lektüre instinktiv unterstellt habe als etwas, das einem sofort entgegenspringt, und dasselbe läßt sich über die inhaltliche Auseinandersetzung mit Spiel-Arten des Phänomens „Regelbruch“ sagen (wobei hier nicht ich, sondern der Verlag in seiner begleitenden Aussendung die Unterstellung vornahm). Bemerkenswerterweise aber funktionieren diese Kontext-Krücken tadellos.
NACH WIE VOR ist ein schnoddriges Poesiealbum, es macht sich nicht die Mühe, einem Spreu und Weizen – hier: tiefsinnig-witzige Wortspielereien und platt postmoderne Kalendersprüche – getrennt zu servieren, es macht sich diese Mühe, möchte ich meinen, zum Glück nicht: Indem es nämlich gar nicht mehr sein will als das kleine Erbauungsbüchlein eines eigentlich-Zeichner-aber-wie-das-Leben-so-spielt-halt-auch-Verleger-und-Dichters, rettet es sich vor dem bedeutungsschwangeren Raunen der Rezipienten und Rezensenten (von wegen „Tiefe Einsichten in das Wesen des Sprachlichen“, „hermetische Räume in der Tradition von XXX“ und dergleichen), es darf einfach „nur“ Spaß machen. Und „Spaß“ ist als literarische Kategorie, zumindest meinem bescheidenen Dafürhalten nach, viel zu rar gesät, als daß gelangweilte, bisweilen auch unter der Last ihrer schweren Gedanken ausdrucksvoll daherwatschelnde Menschen, wie es die Angehörigen der papierverbrauchenden Zunft nun einmal meistens sind, es sich leisten könnten, etwa auf den Konsum der „Strafarbeiten“ (die so etwas wie ein Schlußkapitel von NACH WIE VOR bilden) zu verzichten.
Die Beleidigung nämlich, daß die gravitätischen Gedanken zur Erschaffung von wunderbarer Poesie nicht zwingend notwendig sind, stellt wohl einen äußerst heilsamen Tritt in den Kollektiv-Allerwertesten der Zunft dar („fade sonnen? / dafne sonne / faden sonne! / dosenfanne / sodann, fene“), wiewohl auch die Freiheit von gravitätischer Denkerlast nicht zwingend Qualität gebiert. Jaschke hat ein Geschenk-, Träum- und Inspiratonsbüchlein geschrieben, über das – und darin hat er definitv mehr Glück als seine Vorfahren im Geiste des Dada – nie ein Literaturwissenschaftler auch nur ein Wort verlieren wird.