#Sachbuch

Nationalsozialismus und "Entartete Kunst"

Klaus Peter Schuster (Hg.)

// Rezension von Kristina Pfoser

„Gequälte Leinwand – Seelische Verwesung – Krankhafte Phantasten – Geisteskranke Nichtskönner. Von Judencliquen preisgekrönt, von Literaten gepriesen, waren Produkte und Produzenten einer ‚Kunst‘, für die Staatliche und Städtische Institute gewissenlos Millionenbeträge deutschen Volksvermögens verschleuderten, während deutsche Künstler zur gleichen Zeit verhungerten. Seht Euch das an! Urteilt selbst! Besucht die Ausstellung ‚Entartete Kunst‘. Eintritt frei. Für Jugendliche verboten“, verlautbarte das Werbeflugblatt für die Ausstellung „Entartete Kunst“ in München 1937. – Mit der Machtergreifung der Nationalsozialisten wurde das gesamte kulturelle Leben im Dienste der nationalsozialistischen Propaganda ausgerichtet, die Palette reichte von der Vorschrift „staatspolitisch wertvolle“ Filme ins Programm der Kinos aufzunehmen bis hin zur genauen Kontolle der Vorgänge in den Theatern. Juden und andere mißliebige Personen wurden ausgeschaltet, das künstlerische Experiment als „entartet“ verboten, eine „völkische“ Kunst wurde gefordert, das hieß eine anspruchslose, allgemeinverständliche, volkstümliche Kunst mit guter Eignung für Propagandazwecke.

Wie diese auszusehen hatte, das wurde im neuerrichteten „Haus der Deutschen Kunst“ in München demonstriert. Am 18. Juli 1937 wurde hier in der „Großen Deutschen Kunstausstellung“ mit 900 Werken die sogenannte „Gesunde Kunst des deutschen Volkes“ gefeiert, die Kunst von Arno Breker, Josef Thorak oder Adolf Ziegler.
Als gezielte Gegendarstellung wurde am Tag danach, am 19. Juli – ebenfalls in München – die Wanderausstellung „Entartete Kunst“ eröffnet, rund 600 Werke von 110 Künstlern, in chaotischer Un-Ordnung präsentiert. Die Künstlernamen dazu: Marc Chagall, Raoul Hausmann, Wassily Kandinsky, Ernst Ludwig Kirchner, Paul Klee, Emil Nolde oder Oskar Schlemmer. Am häufigsten genannt und am schlimmsten beschimpft wurde Oskar Kokoschka: „Man sehe einmal lange und aufmerksam die ‚Selbstbildnisse‘ eines Kokoschka an, um angesichts dieser Idiotenkunst das grauenhafte Innere halbwegs zu begreifen“, schrieb schon 1930 Alfred Rosenberg, der spätere „Beauftragte des Führers für die Überwachung der gesamten geistigen und weltanschaulichen Schulung und Erziehung der NSDAP.“

Demgemäß war auch in der Eröffnungsrede von Adolf Ziegler von „Ausgeburten des Wahnsinns, der Frechheit, es Nichtskönnertums und der Entartung“ die Rede. Und Ziegler schloß mit dem Appell an das Publikum: „Deutsches Volk, komm und urteile selbst!“.
Und das deutsche Volk kam – mehr als 2 Millionen Besucher konnten im Lauf der Jahre gezählt werden. 1938 wurde die Schau allein in Salzburg von 40.000 Menschen besucht, im Jahr darauf sahen zwischen dem 7. Mai und dem 18. Juni im Wiener Künstlerhaus 147.000 die „Entartete Kunst“. „Eines stimmt uns freilich nachdenklich: die phantastischen Besuchsziffern! Aus solchen vom Standpunkt der entarteten Kunst aus unglaublich hohen Ziffern müssen wir die richtigen Schlüsse ziehen“, vermerkte der damalige Präsident des Künstlerhauses Leopold Blauensteiner in seinem Tätigkeitsbericht für 1939. – Schon seit der Präsentation der „Entarteten Kunst“ in Berlin im Februar 1938 hatte man auf die Nennung der Künstler und die Angaben zu den Werktiteln verzichtet. Nur mehr das dargestellte Motiv wurde für die Abkanzelung in den Vordergrund gestellt. Die Gründe für den Verzicht, auch die Künstler zu denunzieren, liegen wohl in der doch zu erfolgreich und inzwischen populär gewordenen Ausstellung.

Fünfzig Jahre später, anläßlich des 50. Gedenktages 1987, war der Versuch unternommen worden, die Ausstellung „Entartete Kunst“ zu rekonstruieren. Seit damals wurde die Forschung in Museen und zu betroffenen Künstlern vorangetrieben und so konnte jetzt die erste Rekonstruktion vervollständigt werden. Mit der überarbeiteten und ergänzten Auflage des Buches Nationalsozialismus und ‚Entartete Kunst‘ liegt jetzt eine fast lückenlose Nachbildung der Ausstellung „Entartete Kunst“ (mitsamt dem faksimilierten „Ausstellungsführer“) vor und eine Dokumentation der „Großen Deutschen Kunstausstellung“ mit der Hitlerschen Eröffnungsrede. Zahlreiche Fotos geben einen Eindruck vom nationalsozialischen Bildersturm, detailreiche Darstellungen erhellen die Hintergründe der Kunstdiktatur.

Klaus Peter Schuster (Hg.) Nationalsozialismus und „Entartete Kunst“
Die „Kunststadt“ München 1937.
München: Prestel, 1998.
323 S.; brosch.; m. Abb.
ISBN 3-7913-1888-8.

Rezension vom 17.08.1998

Originalbeitrag. Für die Rezensionen sind die jeweiligen Verfasser:innen verantwortlich. Sie geben nicht notwendig die Meinung der Redaktion wieder.

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