„Dieses sich anbiedernde Hineinkriechen in eine Person, um deren Seelenleben zu ergründen, vernebelt mehr, als es Einsichten gewinnen läßt“ (S. 12), vermerkt Schübler in seinem angriffslustigen Vorwort über einen Künstler, dessen Leben ohnehin zu spärlich dokumentiert ist, um daraus ein „klassisches Porträt“ formen zu können. Was der Biograph außerdem betonen will: die historische Distanz zum Objekt der Beschreibung: „Die Fremdheit eines vor zweihundert Jahren Geborenen soll nicht kaschiert, sondern fruchtbar gemacht werden, indem sie akzentuiert wird. Deswegen, zumindest passagenweise, die Wiedergabe von Dokumenten in der aufs erste leicht befremdenden originalen Schreibung […].“ (S. 12) Kein moderner „Nestroy light“ also für den Leser – was allerdings nicht bedeutet, daß Schüblers skizzenhaftes Porträt zum schwerverdaulichen Durchhaltetest geworden ist.
Ganz im Gegenteil. Gerade die Montage aus O-Tönen des Dichters, Dokumenten aus dem Leben Nestroys und dezenten Erläuterungen des Biographen macht das Buch zu einem unterhaltsamen wie informativen Leseerlebnis. Eines der wesentlichen Merkmale der Biographie: die nicht-chronologische Reihung der – in ihrer Länge unterschiedlichen – Skizzen. Während man üblicherweise damit konfrontiert würde, daß Johann Nepomuk Nestroy am 7. Dezember 1801 das Licht der Welt erblickt habe, führt Schübler den Leser sozusagen gleich in medias res. Kapitel eins konfrontiert uns mit der Spielleidenschaft des glücklosen Zockers Nestroy, im nächsten Abschnitt des Buches geht`s gleich spielerisch weiter: mit des Dichters amourös-galanten Abenteuern, die ein unterhaltsames wie aufschlußreiches Schlaglicht auf das Leben werfen. Nicht nur passionierte Fremdgänger sollten sich Nestroys bis ins letzte Detail geplante Annäherungen an die Schauspielerin Karoline Köfer keinesfalls entgehen lassen.
Auch die thematisch weniger „brisanten“ Skizzen – etwa diejenige über den Stückeschreiber Nestroy – geraten bei Schübler zu interessanten „Clips“ aus dem Leben des Künstlers. Ein weiteres, zeitgemäßes Merkmal des Buches: Der Biograph verzichtet darauf, Nestroy in ein ideologisches Eck zu stellen, und unterscheidet sich damit von den vielen, die etwa den Dichter einseitig als Reaktionären dargestellt haben, der sich nur unter dem Druck des Publikums vorübergehend 1848-freundlich gegeben habe.
Kurzum: Walter Schüblers Buch gelingt es, die Distanz zum Poträtierten zu wahren, gleichzeitig aber den Leser behutsam an die Person Nestroy und seine Zeit heranzuführen. Und den „200jährigen“ nicht als unseren „Zeitgenossen“, jedoch als überaus aktuellen Schriftsteller ins Bewußtsein zu rücken. Wem dies allerdings zu fragmentarisch, zu sehr an die Konsumgewohnheiten der „Videoclip-Generation“ angelehnt ist, der sei auf die unzähligen klassischen Nestroy-Biographien, die es auf dem Markt gibt, verwiesen. Denn diese liefern den „ganzen Nestroy“ und dessen „wahre Story“ – oder vielleicht doch nicht?