In der Eingangsszene von Nicht wie ihr soll der Sportwagen Ivos Status bestätigen, in erster Linie ist es aber eine Selbstversicherung: Komfort, nein, Luxus, Optimum und die Gewissheit, angekommen zu sein im richtigen Leben. Nicht nur, weil man den Fahrer hinter den abgedunkelten Scheiben gar nicht erkennen kann oder soll, ist Ivo eher ein Nebendarsteller in seiner Reflexion über das Maximum Auto und das maximale Leben, das er führt. Direkt aus seinem „Raumschiff“ katapultiert ihn der Anblick seiner Jugendliebe Mirna in den Himmel über Wien, aber es ist ein Panoramablick auf die Stadt, kein totales Abheben, kein freier Flug oder Fall, und das unerwartete Wiedersehen löst nicht Herzflattern, Erotik oder Sehnsucht aus, sondern Ivo spürt „seine Brust oder sein Herz“ hart werden. Als kurz darauf auch noch seine Frau mit der kleinen Tochter das nicht für drei Passagiere ausgerichtete Flugobjekt entert, muss er außerdem feststellen, dass er nichts spürt.
Der Roman sollte angeblich ursprünglich „Ich kauf‘ dein Leben“ heißen, weil sich der Autor an der Vita eines aktiven österreichischen Fußballers, von dem diese Ansage aus jüngeren Jahren stammte, orientiert hat. Die Überblendungen des Vorbilds oder Engführung von Realität und Fiktion wirken sich wahlweise irritierend oder interessesteigernd auf die Wahrnehmung der literarischen Figur aus, aktive Lesearbeit besteht auch darin, Gossip und Kolportage von ihr fernzuhalten, was der Leserin manchmal besser, manchmal nicht ganz so gut gelingt. Voyeurismus oder Authentizität also?
Es ist kein Roman aus der Arbeitswelt, Fußballspielen kommt lediglich aus der Perspektive und Introspektion Ivos vor: seine Liebe zum und sein Glück am Spiel, seine Entwicklung, Karrierestationen bei Real Madrid und Chelsea, die aktuelle Situation beim FC Everton und das damit verbundene Leben im goldenen Käfig in der Villa in Liverpool. Ivo im Flieger zu Spielen mit der Nationalmannschaft, Trips nach London – und immer wieder seine einsamen Fahrten im Auto. Der Trainings- und Spielplan eines Fußballprofis ist dabei weniger interessant als die Strukturierung seiner Woche durch die Fußballübertragungen im Fernsehen, von Freitag um halb sieben zweite österreichische Liga (wo kann man die sehen?) über die Deutsche Bundesliga am Wochenende bis zu den Spielen der Europaliga am Donnerstag.
Nicht wie ihr ist ein Unterhaltungs- und ein Männerroman (jaja, ganz im Sinne von Frauenliteratur – die Zuschreibung ist eine Zumutung), da es um die Befindlichkeiten eines erfolgreichen, extrem gut bezahlten Spitzensportlers geht, um die Beziehungsproblematiken aus der Sicht des jungen Ehemannes und zweifachen Vaters, der seine Frau betrügt, obwohl er das gar nicht möchte, der doch alles hat, was er sich je gewünscht hat und der glücklich sein sollte. Schachinger ist ganz nah an seiner Figur, auch wenn er auktorial erzählt, er zeigt ausführlich die Emotionen Ivos, die Unmöglichkeit des „Zugriffs“ auf sein eigenes Gefühlsleben (analog zum Abrufen eigener sportlicher Leistungen) und wie sehr ihn die daraus resultierende Leere am Spielfeld dennoch funktionieren lässt. Der Mann ist einsam, er hat wenig Bezug zu seiner Umwelt, seiner Familie, den Kollegen und Freunden. Er bringt seine Tochter zwar in den Kindergarten und verbringt den Abend mit ihr, wenn die Ehefrau zum Ballett geht, aber selbstverständlich ist es auch, dass er sich an einem freien Tag nach dem Frühstück zum Zocken in sein Zimmer zurückzieht wie ein pubertierender Jugendlicher. Sein Herz oder seine Brust erreicht die Geliebte Mirna schließlich doch – dafür ist Musik, genauer ein Mixtape mit Rap, das Vehikel.
Aber Ivo selbst und dieser Roman ist viel mehr: Ein Vehikel für die glaubwürdige Darstellung zeitgenössischer Körper- und Geschlechterbilder und des Aufstiegs eines Fußballtalents mit Migrationshintergrund. Die Betrachtungen von Rassismus sind direkt und anschaulich und machen vor dem Framing der Sprache von Vereins- und Medienvertretern nicht halt. Der Text zeigt, wann ein in Österreich gebürtiger Fußballer mit jugoslawischen Eltern für die auflagenstärkste Tageszeitung ein wirklicher Österreicher ist (wenn er bei der EM das einzige Tor schießt) und welchen Alltagsrassismen ein afro-deutscher Fußballer in seiner Nachbarschaft ausgesetzt ist. Er vermittelt Alltagsmachismo und Konsumfixiertheit eines Kind gebliebenen Fußballmillionärs, wenn Ivo sich etwa fragt, was das Studium der Geisteswissenschaft seiner Geliebten Mirna überhaupt gebracht hat, da sie in einer kleinen Mietwohnung haust, die ausschaut, als gehöre sie einer „schwulen Oma“. Auch das Nachdenken über seine Abhängigkeit von Spielermanagern, seine Leistung als Kapital und die Selbstoptimierung (obwohl er gar keine Maschine aus den Akademien ist) wirken nie aufgesetzt. Ivo wirkt authentisch und schlüssig als Fußballer, der ständig die Wörter Hurenkind und Respekt verwendet und die Mischung aus „Traurigkeit und Geilheit“ mit „Salt & Vinegar Chips“ vergleicht. Schachingers Kunstsprache, die sowohl Wiener Slang als auch Favoritener Käfigsprech anklingen lässt und die zwar manchmal etwas ‚dings‘ klingt, hat aber die allermeiste Zeit einen guten Flow und Drive, unterhält und bringt die dargestellte, glitzernde Oberfläche und Ivos emotionales Drunter und Drüber (das natürlich mehr ist als Befindlichkeiten) echt zusammen. Fußball und Rap funktionieren auch abseits des Spielfeldes und ohne eingespielten Sound, um über die Einsamkeit eines Stürmers vor und nach dem Spiel nachzudenken, der in seinen Sehnsüchten und seinem Wollen so ist, wie wir alle oder zumindest viele von uns, die sich die Frage nach dem richtigen Leben, dem maximalen Gefühl stellen. Das letzte Kapitel von Nicht wie ihr spielt dann doch am Rasen und es ist hinterlegt vom Sommerhit des Jahres 2017 (mit dem bis dahin am meisten angesehenen Youtube-Clip ever), Despacito, bei weitem keine astreine Rap-Nummer: Der Fußballer Ivo Trifunovic ist auch nach seinem Wechsel nach Rom noch ein junger Mann der vielleicht ahnt, dass es besser wäre, es gemächlicher, kalkulierter anzugehen, der Fehler eingesehen hat und bereit ist, gewisse Kompromisse und Agreements zu akzeptieren – aber doch nicht in einem neuen Spiel mit einer neuen Chance!