#Sachbuch

Nie erlag ich seiner Persönlichkeit

Edith Friedl

// Rezension von Evelyne Polt-Heinzl

Unter dem etwas irreführenden Titel Nie erlag ich seiner Persönlichkeit … verfolgt Edith Friedl die Lebenswege, Arbeitsweisen und Lebenshaltungen von zwei bekannten Größen der österreichischen Architketur des 20. Jahrhunderts, liest sie parallel, untersucht Schnittmengen wie Inkompatibilitäten, und daraus entsteht eine überzeugende Analyse zum Geschlechterverhältnis.

Friedl beginnt ihren Rundgang durch die Kultur- und Architekturgeschichte um 1900, und das scheint zunächst etwas gewagt. 1900 ist Margarete Schütte-Lihotzky gerade drei Jahre alt, Adolf Loos ist 30, kann schon auf etliche Arbeiten verweisen, etwa den Umbau des Café Museum, und ist in den diversen Kaffeehausrunden gut etabliert. Die jungen Frauen, die hier mit an den Tischen sitzen, sind zwar weit entfernt davon, so etwas wie gleichberechtigte Partnerinnen der männlichen Diskutanten zu sein, aber sie ebnen Schütte-Lihotzky den Weg: Während ihres Studiums ist es Frauen schon sanktionslos möglich, in den warmen Kaffeehäusern zu arbeiten um daheim Kohle zu sparen. Mit diesem anderen Blick auf das Kaffeehaus als „schöne Fassade einer harten Wirklichkeit“ (S. 23) hebt Friedls Buch an, und es folgt ein eigentlich recht unspektakuäres Porträt des intellektuellen Milieus im Wien um 1900, das die gängige Sekundärliteratur ausführlich zitiert.

Tatsächlich wird man wenig Neues darin finden, aber spannend liest es sich trotzdem. Es ist gerade der unbefangene, fächerübergreifende Blick, der viele Fakten und Belege neu liest und neu arrangiert. Und so wird sichtbar, wie zielstrebig diese „paar hundert Menschen“ (S. 20), die ausschließlich Männer waren, ihre Karrieren organisierten. Mit sorgfältig gepflegten Seilschaften – die Connection Kraus – Loos – Altenberg war bekanntlich besonders langlebig und durchschlagskräftig -, und ebenso sorgfältiger Selbstinszenierung. Auch die Kulturvermittlertätigkeit von Frauen wie Berta Zuckerkandl oder Eugenie Schwarzwald wussten die Herren durchaus zu schätzen, für die sie sich zumeist mit radikalem Totschweigen oder Lächerlichmachen „revanchierten“. Übrigens war einer der ersten Aufträge von Adolf Loos die Gestaltung der Clubräume von Rosa Mayreders 1893 gegründetem Allgemeinen Österreichischen Frauenverein, und schon hier schien Loos‘ Praxisbezug einiges zu wünschen übrig zu lassen (S. 42f).

Die konkrete Gegenüberstellung der beiden „Hauptfiguren“ des Buches folgt ihren Lebenswegen: eine gutbürgerlich humanistische Schulbildung, die sich allerdings sehr diskontinuierlich mit zahlreichen Schulschwechseln vollzog, bei Loos. Bei der jungen Schütte-Lihotzky musste die Bürgerschule genügen; dann der Weg an die Kunstakademie, wo sie ihren Lehrer nicht wählen konnte: Oskar Strnad war der einzige, der Frauen in seiner Architekturklasse zuließ. Unter seiner Anleitung beginnt sich ihre lebenslange Haltung der sozialen Verantwortlichkeit in ihrem Beruf herauszubilden. Bevor sie sich mit Entwürfen zum Wohnungsbau beschäftigen, schickte Strnad seine StudentInnen zum Lokalaugenschein in die Vorstädte.

Dorthin ist Loos nie gekommen. Seine Begeisterung gilt dem innerstädtischen Flanieren. Anfang der 1920er Jahre arbeiten die beiden dennoch im sozial engagierten Siedlerprojekt der Gemeinde Wien zusammen. Loos mit wenig Begeisterung und, wie Schütte-Lihotzky in ihren unpublizierten Aufzeichnu

Was Edith Friedl – auch wenn es ihr sichtlich nicht immer leicht fällt – ohne Häme herauszuarbeiten versucht, ist die Relativität von historischen Markierungen wie „fortschrittlich / antibürgerlich“, die sich im Diskurs über die Wiener Moderne verfestigt haben. Während Loos den antibürgerlichen Gestus, der nach dem alten Genie-Konzept zur Grundausstattung des Künstlers gehört, unermüdlich propagiert und inszeniert, kümmert sich die erste Architektin Österreichs nicht um ihr Image und sucht nicht die publizitätswirksame Polemik, sondern beschäftigt sich mit konkreten Fragen sozial verantwortlichen Bauens. Denn, so wie auch Loos zahlreiche Küchen entworfen hat, ist auch Schütte-Lihotzky nicht auf die leidige Frankfurter Küche zu reduzieren, auf die sie in der Rezeption so gerne festgelegt wurde und wird. Zwischen erfolgreich propagiertem Selbstbild (Loos) bzw. einer bewußt verengten Wahrnehmung (Schütte) und der Realität muss nicht immer Deckungsgleichheit bestehen.

Während Loos 1928 sogar aus seinem, zum Gipfel seiner Verfolgungstgheorie hochstilisierten Kinderschänder-Prozess, dem immerhin reale Vorkommnisse zu Grunde lagen, auch dank Karl Kraus ungeschoren davon kam, unterlag die Widerstandskämpferin Schütte-Lihotzky nach 1945 in Österreich als Kommunistin und engagierte Antifaschistin einem realen, tatsächlich existenzbedrohenden Berufsverbot. Während Loos die Arbeit mit schönen Materialien liebte – Marmor zumal, zu dem er als Sohn eines Bildhauers eine besondere Beziehung hatte – und damit realiter zuweilen auch zu seinen eigenen Forderungen nach Zweckmässigkeit und Ornamentlosigkeit in gehörigen Widerspruch geriet, folgt Schütte-Lihzotzky ein Leben lang der Maxime, dass Architketur nicht im Häuserbauen besteht, „sondern in der Gesinnung“ (S. 338) – das hat Loos formuliert und Schütte-Lihotzky gelebt. Und während sich Loos mit provokant und nicht selten auch widersprüchlich formulierten Thesen publizisitisch in Erinnerung hielt – wobei sich die Fama vom großen Skandal um sein „Ornament und Verbrechen“ dank eines Schülers, deren er eine große Zahl um sich zu scharen pflegte, erst allmählich bildete, dafür dann aber besonders nachhaltig (S. 136) -, beschränkte sich Schütte-Lihotzky auf praxisbezogene Artikel und Aufsätze; forciert hat sie allein die Publikation iheres Berichts aus dem NS-Widerstand.

Edith Friedl hat nicht nur Interviews mit der Architektin geführt, sondern zitiert auch ausführlich aus derem unveröffentlichen Nachlass. Darin finden sich auch Äußerungen über Loos: Schütte-Lihotzky distanziert sich klar von seiner Haltung und seinen Konzepten, formuliert sachliche Kritik, aber ohne die Tendez zu Drastik und Polemik, die im Zeichen der „Aufmerksamkeitsökonomie“ heute wie auch schon um 1900 Vorbedingung für mediale Wahrnehmung war. Friedls Buch kann hier als notwendiges Korrektiv gelesen werden, an dem einzig der Titel irritiert. Nie erlag ich seiner Persönlichkeit geht – wenn auch in der Negation – von der klaren Orientierung auf den männlichen Kollegen aus, obwohl das vorliegende Buch doch gerade zu zeigen versucht, dass es Sinn macht, die gleichzeitig mit den bekannten männlichen Heroen der Kutlturgeschichte agierenden Frauen als eigenständige Akteurinnen wahrzunehmen und eben nicht primär bezogen auf ihre männlichen Mitakteure, in deren Tagebüchern und Kladden sie so gerne unerwähnt blieben. Und schließlich, weshalb hätte Schütte-Lihotzky, die von Anfang an sehr konkrete Vorstellungen über ihren Beruf hatte, einem so konträr angelegten älteren Kollegen auch „erliegen“ sollen?

Edith Friedl Nie erlag ich seiner Persönlichkeit
Margarete Lihotzky und Adolf Loos – ein sozial- und kulturgeschichtlicher Vergleich.

Wien: Milena, 2005 (Feministische Theorie. 47).
347 S.; brosch.
ISBN 3-85286-130-6.

Rezension vom 16.08.2005

Originalbeitrag. Für die Rezensionen sind die jeweiligen Verfasser:innen verantwortlich. Sie geben nicht notwendig die Meinung der Redaktion wieder.

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