Entgegen seiner eigenen Weisung mußte der oberösterreichische Mundartdichter der Lieder in obderennsischer Volksmundart, Franz Stelzhamer (1802-1874), selbst jedoch sehr oft auf Reisen gehen. Zeugnis davon geben die vielen Briefe, die sich – sowohl von ihm verfaßt als auch an ihn gerichtet – in seinem Nachlaß im Oberösterreichischen Literaturarchiv befinden. So auch der Briefwechsel mit seiner ersten Frau Anna Barbara (Betty) Stelzhamer, geb. Reis, der nun von Silvia Bengesser und Günther Achleitner ediert wurde und aktuell zum 200. Geburtstag des Dichters bei Otto Müller erschienen ist. Auf etwa 600 Seiten präsentiert der Band einen innigen, 268 Schreiben umfassenden Briefwechsel aus den Jahren 1842 bis 1855. Trotz des Umfanges und teilweise auch sehr geschlossen vorliegend, ist die Korrespondenz nicht vollständig erhalten, mitunter weist sie sogar größere Lücken auf. Aus den Jahren 1844 und 1845 sind keine Schreiben erhalten, obgleich Betty Reis und Franz Stelzhamer bis zu ihrer Heirat getrennt lebten und der Dichter ausgiebige Vortragsreisen unternahm. Und besonders in biographisch interessanten Abschnitten wie dem Herbst 1851, als die gemeinsame Tochter Carolina stirbt oder dem Sommer 1855, der durch einen schweren Ehekonflikt gezeichnet ist und zur Übersiedlung Betty Stelzhamers nach Salzburg führt, fehlen Briefe.
Die Lücken in der Korrespondenz – wie etwa Ereignisse in Zeitspannen des Zusammenlebens der Partner – werden in einem klug gestalteten Kommentar durch Hinzunahme weiterer (vielfach neu recherchierter) Quellen ergänzt und erläutert. Jeder Brief wird dabei als relativ selbständige Einheit behandelt, Querverweise ermöglichen jedoch auch die Orientierung innerhalb des Briefwechsels, was dem Leser die Freiheit bietet, den Briefwechsel nicht vom Anfang bis zum Ende in chronologischer Reihenfolge lesen zu müssen.
(Sozial-)geschichtliches, das in den Briefen oder im historischen Umfeld eine wichtige Rolle spielt wie die Revolution von 1848, das Währungssystem und die Therapieformen der Humoralpathologie, wird, um ein Verständnis der Zusammenhänge zu ermöglichen, leserfreundlich kommentiert. Damit veranschaulicht die vorliegende Edition die Briefe nicht ausschließlich als biographische, sondern auch als (sozial- und kultur-)historische Dokumente.
Die Fakten: Stelzhamer lernte die sechzehn Jahre jüngere Betty Reis 1842 in Wien kennen, wo sie von ihrer Näharbeit lebte. 1845 heirateten die beiden, und im selben Jahr kam auch ihre Tochter Carolina, genannt Lini, in Ried im Innkreis, wo die Familie nun lebte, zur Welt. Aber bereits 1851 starb das Kind im erst siebenten Lebensjahr an einem organischen Herzfehler. In den folgenden Jahren trieb ein Rückgang des Publikumsinteresses die Stelzhamers immer tiefer ins soziale Elend. Und nach einer langen Erkrankung verstarb auch noch Betty Stelzhamer 1856.
Franz Stelzhamer ist ein gebildeter, der Schriftsprache mächtiger Briefschreiber. Ganz anders Betty Stelzhamer: ihre Orthographie und Interpunktion scheint willkürlich gehandhabt. Wörter werden oft dem Hören nach notiert, was des öfteren zu bizarren Konstruktionen führt: „so liebes gutes herz halte Dein mir gegebenes Wort […] vergiß mich armes Mädchen nicht ich will Dir stätz dankbar seyn gegen alle Menschen Deine Güte loben und für Dein Wohl stätz betten […] komme heunte Abents und wenn Du heute den Brief nicht mehr lest so erwardet Dich Morgen um acht und auf den nehmlichen Platz Deine Dich liebende Betty“ (S. 17f).
Da Stelzhamer im Innviertel, wo er als freier Schriftsteller lebte, mit seinen literarischen Arbeiten nicht genug Geld verdiente, um die Familie ernähren zu können, mußte er zum Gelderwerb immer wieder auf Geschäftsreisen „in die Residenz“. So schrieb er seine Briefe an Betty aus Linz, Salzburg, Graz, Wien oder München.
Betty Stelzhamer litt sehr unter der Abwesenheit ihres Mannes und forderte ihn in ihren Briefen stets auf, umgehend zu antworten. Kam das gewünschte Schreiben nicht rechtzeitig an, zögerte sie nicht, Stelzhamer zu drohen: „wenn du mir nicht gleich wieder schreibst so findest Du alles bey der frau Mutter, mich aber nicht mehr […].“ (S. 60)
Trotz des – vordergründig gesehen – sehr liebevollen Umgangs der beiden miteinander begleiteten Mißtrauen und Argwohn von Anfang an die Beziehung und spielten nicht bloß in den Briefen vor ihrer Heirat eine große Rolle. Betty ging aus Liebe zu Stelzhamer kaum aus, um seine Eifersucht nicht zu erregen. Seine zweiflerischen Grübeleien und Phantasien schob der Dichter stets einem Dämon zu: „Du weißt, mein gutes Weib, wenn mein Dämon aufgestachelt ist bin ich erfinderisch in Qual und Pein!“ (S. 330)
Obgleich Stelzhamer gerne bei Frau und Kind war, kamen ihm seine Reisen nicht ungelegen, klagte er doch nicht selten, daheim wegen der häuslichen Störungen nicht arbeiten zu können.
Mit der bürgerlichen Revolution von 1848 nimmt das Interesse des Publikums an seinen Mundartgedichten ab und entgegen seiner übertriebenen Hoffnungen, Landesschulinspektor für Oberösterreich zu werden, wird Adalbert Stifter mit diesem Posten betraut: „Gott gebe liebes Weib, daß Deine Zuversicht vonwegen des Landeschefs sich bald der Bestäthigung erfreue, ich hege auch keinen Zweifel obwohl es mir unlieb ist, daß sich Freund Stifter wieder dabei betheiligt und zu schaffen macht.“ (S. 278)
Die finanzielle Situation der Familie Stelzhamer verschärfte sich nach der Revolution. Schulden bei Geschäftsleuten und Vermietern konnten kaum mehr abgegolten werden, die Wohnungen wurden häufig aufgekündigt, Hab und Gut mehrmals gepfändet: „es ist entsetzlich was ich in dem München erfahren muß […] alle unsere Sachen sind heute Gerichtlich aufgeschrieben worden […]. (S. 532) In München erkrankt Stelzhamers Frau zu allem Unglück auch noch an Cholera. Der letzte Brief dieser Korrespondenz erreicht Betty in Ischl – ein halbes Jahr bevor sie an den Folgen ihrer Krankheit verstirbt.
Die literarische Öffentlichkeit sieht im Dialektpoeten Stelzhamer heute gerne lediglich einen oberösterreichischen Heimatdichter. Als erfüllten die Verse der Landeshymne ein Programm, scheinen aus Franz Stelzhamers poetischem Schaffen in erster Linie lokalpatriotische und sentimental-mutterliebende Komponenten herausgefiltert zu werden, wie auch ein Blick in die Forschungsliteratur bestätigt. Daher verwundert es ein wenig, daß das „Stelzhamer-Jahr“ neben einer Ausstellung und dem begleitenden Katalog mit einer Briefedition und nicht mit einer Biographie, Monographie oder (noch immer ausstehenden) kommentierten Werkausgabe eröffnet wird – zumal schon für den vorliegenden Band viel Neues zu Leben und Werk des Dichters zusammengetragen wurde. Denn ob Franz Stelzhamer als bedeutender Mundartdichter angesehen werden kann oder zurecht bloß den Rang eines oberösterreichischen „Landes-Bedichters“ einnimmt, vermag (auch) diese gelungene Briefedition nicht zu klären.