Bekanntschaft machen die beiden in einer Diskothek in Wien und bereits nach ihrer ersten Verabredung am lauschigen Hanslteich am Rande des Wienerwaldes ist für Ante klar, „dass er nicht mehr ohne sie sein wolle.“ (31) Der Heiratsantrag folgt dann einige Zeit später in der Brüsseler Gemäldegalerie bei der Betrachtung von Bruegels Engelssturz und nach der Geburt des ersten Kindes zieht das Paar in ein Haus mit Garten in das Umland von Wien, wo sie gemeinsam mit Barbaras Schwester und deren Familie in einer Wohngemeinschaft leben. Während die anderen erwachsenen MitbewohnerInnen weiterhin ihren Berufen bzw. einer Ausbildung nachgehen und in der Welt herumkommen, hütet Barbara das Haus und die Kinder und kommt als einzige „nicht vom Fleck“ (129).
So kommt es, wie es kommen muss, und Barbara fühlt sich im Zwiespalt, den Alltag als Hausfrau und Mutter durch ein „Hundertprozentopfer“ (146) perfekt zu meistern und sich daneben auch selbst zu verwirklichen, zunehmend überfordert: „Seit kurzem entwarf Barbara zwischen ein und vier, halb fünf Uhr morgens im Kopf eine eigene Modelinie, dichtete Lyrics für ihre späte Karriere als Sängerin und schrieb Kurzgeschichten für ihr erstes Buch. Schlafprobleme. Wenn sie nach acht gerädert aufwachte, hatte sie alles wieder vergessen oder es kam ihr lächerlich vor.“ (115)
Dazu kommen auch wiederkehrende Bedenken, ob der Entschluss aufs Land zu ziehen wirklich optimal war, sowie eskapistische Sehnsüchte nach dem Gefühl des freien Fallens, die sie seit ihrer Kindheit begleiten: „Du musst rennen, und dann spring Barbie, spring doch in die ganze totale freie Luft! / Es fühlte sich richtig an. Vorhin hatte sie das Gefühl nicht gehabt, und schon in dem Moment, als sie an vorhin dachte, wusste sie, dass es vorbei war, überstanden.“ (151)
Fundamentale Fragen nach dem richtigen Lebensentwurf und Zweifel an der aktuellen Lebenssituation stellen sich auch bei Ante ein, der aufgrund seines Migrationshintergrundes stetig mit Fragen von Identität und Zugehörigkeit hadert: „‚Ich kann schon verstehen, dass man sich denkt, ohne Familie ist’s einfacher. Als Mann.‘ Er glaubte nicht, dass man das Schwere, das, was einen hinunterzog, wirklich miteinander teilen konnte. Auch wenn es Liebe war.“ (85)
Die Liebe ist es aber schließlich, die das Leben trotz seiner Abgründe erträglich und sogar lebenswert macht; diese Erkenntnis wäre ja beinahe schon kitschig, wenn sie von Angelika Reitzer nicht so wunderbar beiläufig und unaufgeregt erzählt würde. Denn Reitzer bietet in ihrem Roman keine Ausflüchte, sondern bildet die alltäglichen Momente einer Beziehung schnörkel- und illusionslos ab, und das in einer sehr reduzierten und klaren Sprache: Kürzestsätze im Umfang eines Wortes sind keine Seltenheit, auf Füllwörter oder schmückende Beiwörter verzichtet sie weitgehend. Neben dieser präzise-anatomischen Vermessung einer Liebesbeziehung und den damit verbundenen Fragen nach der richtigen Lebensführung verhandelt der Roman auch die Schwierigkeit, die Wirklichkeit im Zeitalter der Digitalisierung wahrzunehmen. Hier werden die sich verändernden Sehgewohnheiten genau unter die Lupe genommen: „Schauen ist ein lebenslanger Prozess, bestimmt den eigenen Ort in der umgebenden Welt. Darauf folgt eine Berührung, egal, wie nahe oder weit entfernt das Abgebildete ist. Durch den Blick oder das Berühren eine Beziehung aufnehmen. Die Bilder sind Spuren des Wirklichen.“ (109)
So ist es dann nicht nur die visuell fokussierte Barbara, die sich besonders schwer tut, reale und virtuelle Welt voneinander zu trennen. Wenn sie ihre Fotos auf Instagram postet, überlegt sie sich schon bei der Aufnahme des Bildes, wie dieses am besten bei der virtual community ankommen werde. Auch bei Ante verschieben sich die Wahrnehmungsebenen: „Manchmal fragt er sich, ob Musik oder Bilder, die von irgendwoher kommen, die keinen körperlichen Speicherplatz haben, überhaupt existieren. Wie vergeblich, wie vergänglich. Und dass er die Begeisterung so vieler für Barbaras Bilder im Netz vielleicht deshalb nicht teilen kann, weil sie ihm wie gar nicht vorhanden vorkommen. Greifbar sowieso nicht.“ (188)
Konsequenterweise beschließt dann auch ein recht gewagtes Zusammentreffen virtueller und realer Ereignisse das Romangeschehen, das man als LeserIn dank der meisterhaften Sprachbeherrschung und Erzählweise der Autorin aufmerksam und interessiert verfolgt hat.