#Prosa

Österreich - Berichte aus Quarantanien

Isolde Charim

// Rezension von O. P. Zier

Neben vielen Funktionen erfüllt die Literatur auch die Aufgabe der „Black-Box“, d. h. wenn der Staat abgestürzt ist, kann man anhand der Literatur die Absturz-Ursache und den Zustand des Landes feststellen.
So ist auch die Aufsatzsammlung Österreich. Berichte aus Quarantanien zu verstehen, worin die auffälligsten Merkmale einer Republik beschrieben werden, deren Regierung unterirdisch zur Angelobung angeschlichen gekommen ist und seither oberirdisch und international geächtet wird.

In der Not lernen sogar die österreichischen Schriftsteller die Kunst des Essays, könnte man bei der ersten Durchsicht der Beiträge sagen. Neben den Essay-Klassikern Robert Menasse, Franz Schuh, Karl-Markus Gauß und Armin Thurnher, die über den Zustand Österreichs beinahe monatlich Bulletins herausgeben, liefern auch AutorInnen der „reinen Literatur“ überraschend genaue Bilder zur Atmosphäre innerhalb und außerhalb Quarantaniens.

Robert Menasses „Antwort auf ängstliche Fragen“ ist geradezu hellseherisch bereits im Oktober 1995 entstanden. Unter dem Titel „Österreichs Reise ans Ende der Nacht“ geht der Text davon aus, daß die „Konkordanzdemokratie“ am Ende war und etwas Neues folgen mußte. In diesem Zusammenhang ist es interessant, daß für die Neuorientierung der Republik der Austrofaschismus als völliges Tabu gilt, ja in manchen Gesellschaftskreisen für den guten „patriotischen Faschismus“ gehalten wird, der „eben leider“ damals dem Hitler-Faschismus unterlegen ist.
Das aktuelle Credo Robert Menasses lautet: „Ich glaube, man muß mit seiner intellektuellen und publizistischen Arbeit verstärkt die Grünen und das Liberale Forum ins politische Spiel bringen, statt immer nur hysterisch gebannt auf Haider zu starren.“ (S. 17)

Franz Schuh rollt unter dem Titel „Unglückliches Österreich“ einige Stimmungsbilder wie Posters aus. Unter anderem beschreibt er die Schadenfreude, mit der man dem damaligen Landeshauptmann von Kärnten sein Attentat gegönnt hat, weil es irgendwie gerecht war. Aber auch die Stimmung für den EU-Beitritt hatte einen österreichischen Touch; man glaubte, daß sich nichts ändern werde, wie sich nie etwas ändert, ob man nun mittut oder nicht. Ironisch hat Franz Schuh auch eine Lösung parat: „[…] das ist es, der Kosmos: die Rettung“ (S. 32).

Armin Thurnher macht sich Notizen zum „aparten Österreich“, wobei der Ausdruck „apart“ raffiniert gewählt ist, bedeutet er doch geschneuzt und rassistisch in einem. Im Stil eines Ablauf-Protokolls wird von der Wahl Waldheims über den Innsbrucker Parteitag der FPÖ 1986, dem „Abend der Katastrophe“, als beim ehemaligen Bundeskanzler das Leuchten des Gebisses jäh erlosch, den Scheinverhandlungen, der zur Angelobung unterirdisch anreisenden Regierung bis hin zu den Donnerstag-Demonstrationen aufgezählt, was man im Soge der Alltagspresse leicht vergißt: daß nämlich zwischen dem Zustand des kollektiven Gedächtnisses und der Regierung ein Zusammenhang besteht. Perfekt ist auch die Bezeichnung „Feschisten“, womit fesche Menschen gemeint sind, die Denken durch Styling ersetzen.

Von den literarisch-authentischen Texten (= Texte, die im „typischen“ Stil des(r) jeweiligen Autors(in) verfaßt sind) sind unbedingt hervorzuheben: Franzobels „Chronologie der laufenden Scheiße“, die als Realität genauso dramaturgisch einwandfrei über Österreich herunterrinnt wie als Literatur im jüngsten Roman „Scala Santa“.
Kathrin Rögglas Austrian Karaoke „identifikation mit dem aggressor“, worin nach dem Motto „der ton macht die musik“ die zelebrierten Gesten nichts mehr mit dem ausgedrückten Inhalt gemein haben.
Antonio Fians Besuch „im neuen Österreich“, worin er beschreibt, wie der neue Geist in Kärnten eingezogen ist und selbst ihm, dem sporadisch Heimkehrenden, keine Chance läßt, dem neuen Geist auszuweichen.

Die übrigen „Berichte aus Quartanien“ stammen von Paulus Hochgatterer, Karl-Markus Gauß, Marlene Streeruwitz, Peter Stephan Jungk, Bernhard Henry Lévy, Robert Schindel, Elfriede Jelinek sowie den HerausgeberInnen Isolde Charim und Doron Rabinovici.

Im Sinne der „Black-Box“ könnte man darüber diskutieren, inwiefern bei der Analyse der Republik noch andere Parameter hinzugefügt werden müßten.
Beispielsweise ist das Phänomen, daß die aktuelle Regierung in den Bundesländern völlig anders rezipiert wird als in der Bundeshauptstadt, noch kaum zur Sprache gekommen.
Es ist zwar kein Trost, wenn in einem Land die Literatur funktioniert und sonst nichts, aber vielleicht kann sich die Republik eines Tages an der Literatur jener aufrichten, die momentan von der Regierung geächtet werden.

Isolde Charim Österreich – Berichte aus Quar
Aufsatzsammlung.
Frankfurt am Main: Suhrkamp, 2000.
174 S.; brosch.
ISBN 3-518-12184-7.

Rezension vom 02.08.2000

Originalbeitrag. Für die Rezensionen sind die jeweiligen Verfasser:innen verantwortlich. Sie geben nicht notwendig die Meinung der Redaktion wieder.

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