#Roman

Pannonias Zunge

Herbert Maurer

// Rezension von Helmuth Schönauer

„Doppelt fiktionalisiert, hält besser!“ Mit dieser leicht veränderten Volksweisheit läßt sich am ehesten das Unterfangen Herbert Maurers umschreiben, in seinem Roman Pannonias Zunge geht es nämlich um eine doppelte Fiktion, die überraschenderweise völlig realistisch wirkt.

 

In 18 Kapiteln, wobei es lustigerweise kein sechzehntes Kapitel gibt, zeigt sich auf den ersten Blick eine spannende Biographie des pannonischen Meisters Joseph Haydn in musikalischen Äußerungen und sonstigen Selbstzeugnissen. Um die Authentizität dieser „Scheinbiographie“ zu erhöhen, ist ein wissenschaftlicher Pseudoapparat parallel geschaltet, der oft den Primärtext begleitet und unterstützt, ihn an manchen Stellen aber überwuchert und selbst die erste Geige spielt.

Die Wörter Burgenland, Gumpendorfer Wohnung, Esterhazy, Hoboken oder Breitschopf werden sachkundig in regelmäßigen Abständen fallen gelassen, sodaß durchaus der Eindruck entsteht, es handle sich um zumindest semi-authentisches Musikmaterial. Spätestens an der Stelle, wo „Die Ärschin von Sussex“ als pornographische Hymne bezeichnet wird, ist klar, daß man es mit einem hemmungslos schilfigen Luftschiff aus Pannonien zu tun hat. Pannonia heißt übrigens auch die Tochter Haydns.

Die gängigen Begriffe der Musikkunde werden systematisch überhöht und in Frage gestellt, indem ihnen absurde Ergänzungen und Definitionen beigestellt werden. Niemand findet ein Londoner Schlagwerk auffällig, eine pornographische Hymne jedoch irritiert. Mit geduldiger Raffinesse zerlegt Herbert Maurer die Insider-Sprache der Klassik-Freaks und schreibt eine mindestens so interessante Gegengeschichte zum offiziellen Gestus der Musikbranche.

Pannonien selbst wird ähnlich wie in Klaus Hoffers Mythos von den „Bieresch“ im Seewinkel zu einem eigenartigen Landstrich, in dem seltsame Riten gepflegt werden. Weltberühmt ist angeblich das Querliegen, wobei die angehenden Schläfer darauf achten, nicht in einer der vier Windrichtungen, sondern quer dazu zu liegen.

Eine eigene Wahnsinnsstory bietet die musikalische Auseinandersetzung zwischen Joseph Haydn und Karl Dieter von Dittersdorf. Dieser Wettstreit zieht sich über den gesamten Kontinent hin, und selbst die aus österreichischer Sicht so berüchtigten Faröer werden danach beurteilt, ob sie „Ditterianer“ oder „Haydnisten“ sind.

Aber nicht nur die Musik muß sich als Zähmungsinstrument für wilde Völker beweisen, die wilden Völker bringen auch die gezähmte Musik in arge Schwierigkeiten. So ist etwa das „Wetterbezwingen“ in Tirol etwas durchaus Musikalisches. Die Kinder werden bei Gewitter ins Freie gelegt, auf daß der Blitz in sie einschlüge. Tut er dies, lachen die Babys musikalisch, und die Eltern freuen sich, daß das Wetter bezwungen ist.

Herbert Maurers Pannonia-Roman ist eine kluge Auseinandersetzung mit den Themen Musikgeschichte, Biographie, Tradition, Enthnographie und Sekundärliteratur schlechthin. Sein Roman setzt dort an, wo die Textbeigaben zu diversen CDs enden: bei Schund und Starkult. Der Roman läßt sich als kulturhistorischer Abenteuerroman der grotesken Art lesen. Im Verlauf der Lektüre ergibt sich ein eigenwilliger Kosmos, und als Leser fühlt man phasenweise eine recht angeschwollene Pannonische Zunge in sich.

Herbert Maurer Pannonias Zunge
Roman.
Berlin: Berlin Verlag, 1999.
156 S.; geb.
ISBN 3-8270-0346-6.

Rezension vom 11.04.2000

Originalbeitrag. Für die Rezensionen sind die jeweiligen Verfasser:innen verantwortlich. Sie geben nicht notwendig die Meinung der Redaktion wieder.

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