#Prosa

Paris tut not

Barbara Glauert Hesse

// Rezension von Iris Denneler

Rainer Maria Rilke/Mathilde Vollmoeller.
Briefwechsel.

Auf einem Foto sehen wir sie als eine elegante junge Frau, mit Federhut und Boa, geradeheraus in die Welt blickend mit dunklen, ernsten Augen, den Mund leicht trotzig verschlossen und dabei doch so unwirklich ins Nichts des Hintergrundes getaucht wie eine Elfe. Mathilde Vollmoeller war eine der herausragenden Frauengestalten der Malerei der Jahrhundertwende. Sie war Schülerin der Académie Matisse, stellte wiederholt im Salon d’Automne aus und wurde von Kollegen als beachtliches Talent geschätzt. Dennoch – heute kennt man sie vor allem als Freundin berühmter Männer (das Namensregister liest sich wie ein Who is Who der künstlerischen Avantgarde). Nach ihrer Heirat mit Hans Purrmann führt sie ihr Paß bezeichnenderweise als „Kunstmalers Ehefrau“; zahlreiche ihrer Gemälde gingen unter seinem Namen in den Handel.

 

Nun hat ihr Briefwechsel mit Rainer Maria Rilke ihrer freundschaftlichen Korrespondenz bereits die zweite Edition innerhalb der letzten zehn Jahre beschert. Daß der vorliegende Briefwechsel das Augenmerk wieder auf die Künstlerin Mathilde Vollmoeller lenkt, ist neben dem kenntnisreichen und klugen Kommentar der Herausgeberin eines der Verdienste dieser neuen Ausgabe (letztere erweitert um 15 mittlerweile gefundene Briefe).
Die kleine, zierliche, selbstbewußte Person, gesegnet mit finanzieller Unabhängigkeit und beherzter Unerschrockenheit, war in praktischen Dingen ebenso selbständig wie in ihrer Einschätzung der zeitgenössischen Kunst und Kultur. 1897 begegnete sie Rilke zum erstenmal bei einer George-Lesung in Berlin. 1906, in Paris, wird die Beziehung enger, fast eine Freundschaft. Sie war es, die den Dichter auf Cézanne aufmerksam machte und ihn der zeitgenössischen modernen Malerei und Dichtung näherbrachte (Rilke zitiert begeistert ihr Urteil über Cézanne: „Wie ein Hund hat er davorgesessen und einfach geschaut, ohne alle Nervosität und Nebenabsicht“).

Der zwischen 1906 und 1920 dokumentierte Briefwechsel zwischen Rilke und Mathilde Vollmoeller gibt Einblicke in ihre künstlerische Entwicklung wie in ihren Alltag; und er ist zugleich Zeitbild einer Stadt und eines Mythos. Paris – die schillernde Metropole, in welche es auch die kleine, emanzipierte Person mit schwäbischem Zungeschlag zog, die sich dort ganz ihrer künstlerischen Arbeit zu widmen gedachte. – Nicht weniger als der seiner Selbstbestimmung verschriebene Rilke, dem sie nicht nur mit ihrem Atelier (samt Nützlichem wie Handtüchern und Besteck) aushalf, sondern ihn auch zum Sammeln jener Maler anregte, die sie kannte und bereits in ihrer Wohnung – wie selbstverständlich – hängen hatte: Picasso, Seurat, Rousseau, Matisse und viele der berühmten Namen mehr.

Barbara Glauert Hesse Paris tut not
Briefwechsel.
Göttingen: Wallstein, 2001.
270 S.; geb.
ISBN 3-89244-442-0.

Rezension vom 10.09.2001

Originalbeitrag. Für die Rezensionen sind die jeweiligen Verfasser:innen verantwortlich. Sie geben nicht notwendig die Meinung der Redaktion wieder.

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