Dabei ging es um den Vorwurf des Plagiats an dem Lyriker Iwan Goll, vorgebracht von dessen ebenfalls dichtender Ehefrau Claire Goll. Celan hatte den todkranken Kollegen in Paris kennengelernt und auf dessen Wunsch einige seiner französischen Gedichtzyklen ins Deutsche übertragen. Nach Golls Tod beschuldigte die Witwe Celan, die letzten auf deutsch entstandenen Verse ihres Mannes für den Band „Mohn und Gedächtnis“ geplündert zu haben. Wiedemann stellt neben den Übersetzungen das Korrespondenz-Geflecht in seiner Gesamtheit dar, sie dokumentiert den heftigen Pressekrieg und erlaubt sich erst am Schluß ein Resümee, das sich bei aller Sympathie für Celan um Objektivität bemüht.
„Die Gedichte sind aus anderen Gedichten gemacht, aus den seinen nicht weniger als aus den fremden“, sagt Jean Bollack in seiner jüngst erschienenen Studie über Celan und meint damit natürlich nicht geistigen Diebstahl, sondern produktive Anverwandlung. Es ist irrwitzig: Celan, der dem Leukämiepatienten Goll Blut gespendet hat, soll ihm quasi Dichterblut abgezapft haben. Der ungerechte, unsinnige Vorwurf (es fanden sich Manipulationen Claire Golls am Nachlaß ihres Mannes) erschütterte Celan in seinem Innersten. Er, der frischgebackene Büchner-Preisträger, sah darin eine antisemitische Kampagne, die sich des jüdischen Ehepaars Goll bediente, er stieß auch seine engsten Wiener Freunde vor den Kopf, witterte seinerseits allerorten Plagiate und vertraute bald niemandem mehr. In die Enge getrieben, leugnete er jede auch nur harmlose Referenz zu Golls Werk, spielte seine jugendliche Bewunderung für den alten Meister herunter und reagierte allergisch auf jede Nennung Golls im Zusammenhang mit dem eigenen Oeuvre. Bei einer Lesung in Bremen 1957 kam es zu einem Eklat, als ein Zuhörer nach dem Plagiatsvorwurf fragte und ein anderer das Wort „Zores“ in den Mund nahm – für Celan eine Nichtjuden nicht zustehende Anmaßung. Tief gekränkt war er, als Ingeborg Bachmann drei Jahre später einen von ihm selbst und seinem Freund Klaus Demus geschriebenen Solidaritätstext abändern wollte, weil ihr der Ton unsachlich erschien; obwohl sie (wie auch Marie Luise Kaschnitz) die Erklärung dann doch unterschrieb, blieb das Zerwürfnis bestehen. Wiedemann zeigt so auch einen wenig angenehmen Paul Celan, sie zeigt ihn aber nicht als Patienten.
Indem sie vorführt, wie die jahrelange Affäre in den Gedichten zur Sprache kommt, macht sie nebenbei klar, daß eine apodiktische Interpretation, wie sie etwa neuerdings Jean Bollack vorlegte, in manchem zu kurz greift. In vielen Arbeiten der fünfziger und sechziger Jahre hat Paul Celan offenbar seine konkrete existentielle Erschütterung durch den Rufmordversuch chiffriert, hat er seiner Wut und seinem Haß auf echte und vermeintliche Feinde ein mehr oder minder streng kontrolliertes Ventil verschafft. Die Briefwechsel mit Hans-Magnus Enzensberger, Alfred Andersch, Siegfried Lenz, Theodor W. Adorno oder Friedrich Torberg (der mit Milo Dor den österreichischen P.E.N. zur Unterstützung des Attackierten mobilisierte) sind aufschlußreich für Celans Selbstbild und seine radikale Skepsis gegenüber Betrieb und Gegenwart. Im Diskurs über literarische Beeinflussungen verrät Celan mitunter auch etwas über seine Poetik, sein Verhältnis zu Rilke, Trakl und George – am ausführlichsten in Briefen an Walter Jens, den er etwa darauf aufmerksam macht, daß in der „Todesfuge“ die Formulierung vom „Grab in der Luft“ „weiß Gott weder Entlehnung noch Metapher“ sei.
In Details kann man anderer Meinung als die Herausgeberin sein. So hat zwar Claire Goll in ihrer Kampagne offenkundig mit antisemitischen Ressentiments des Publikums geliebäugelt und das Klischee vom geldgierigen Juden bedient – es gibt aber wohl kein Klischee des „unkreativen“ Juden, im Gegenteil. Als Ganzes ist das monumentale Werk nicht nur eine Fundgrube für Celanisten, sondern auch eine Illustration zur literarischen Szene (vor allem) der Bundesrepublik.