#Theater
#Prosa

Phettberg

Franzobel

// Rezension von Barbara Angelberger

Eine Hermes-Tragödie.

„Achtung, an alle Bewohner, die sich noch in ihren Häusern befinden. Wir müssen Sie evakuieren. Bitte gehen Sie zu ihren Fenstern, damit wir Sie in unsere Boote aufnehmen. Ich wiederhole. Alle Bewohner werden evakuiert.“ Legen Sie also die Schwimmwesten an und steigen Sie in die bereitgestellten Boote, denn Franzobel lässt es wieder fluten.

Nicht Kraut diesmal, sondern Wasser. Ganz Wien versinkt – und eine Bühne obendrein. Auf der sitzt Phettberg, es ist seine Wohnung und das neue Buch ein Vorabdruck eines Theaterstückes. Genaugenommen nur der erste Teil des Buches, der Phettberg heißt. Eine Hermes-Tragödie. Der zweite Teil nennt sich „Baracke“ und ist ein Prosastück, doch eigentlich auch ein Monolog. Gehalten von Papst Hermesus, der uns ein Urbi et Orbi der anderen Art spendet. Dazwischen finden sich Bildmontagen und Kollagen des Autors: Phettbergs Kopf auf einer Statue des St. Sebastian, des schwulen Heiligen schlechthin, Hermes in Camouflage als Kriegsbraut, als King Klump von Gumpendorf, und auf der letzten Seite schließlich: als Gesamtkunstwerk.

Und damit wären wir auch schon in medias res. Denn als Lesender fragt man sich öfter, wer hier spricht. Ist es die Realperson Hermes Phettberg, die eigentlich Josef Fenz heißt? Die sich – im Wissen, dass der eigene und eigentliche Name eine Beleidigung sei, eine demütigende Schande – den Namen Hermes wählte, als sie als Pastoralassistent die Nachfolge von Schwester Hermine antrat. Die sich im Rahmen einer Abmagerungskur auch für Phettberg entschied, auf dass der diätgeilen Weight Watchers-Assistentin schlecht wird, wenn sie das Wort „fett“ in den Mund nehmen muss; damit sie sagen muss: Herr Fettberg, Sie haben heute 20 dag mehr. Der Name ist nicht echt, die Selbststilisierung vielleicht schon, die auf der Bühne sitzende Person ein mit Polstern ausgestopfter Schauspieler.

Phettberg wird gespielt, wiewohl der echte noch lebt. Das ist selten im Theater, das eigentlich den Toten vorbehalten ist. Oder zumindest den Unbekannten. Doch Phettberg kennt jeder. Das Ex-Liebklingskind der Medien war eine Zeit lang in ganz Österreich präsent. Von „News“ bis zu den örtlichen Faschingsvereinen wollte niemand auf ihn verzichten. Österreich brauchte ihn. Und dieses Österreich wird auch ganz massiv in die beiden Texte hereingeholt. Da haben wir den Journalisten Herrn Schanee, der im evakuierten Wien an Hermes‘ Türe klopft, um Rettung zu erflehen und später als Leiche durch die Phettbergsche Wohnung treibt; da finden wir den Andi Goldberger, von dem Hermes wünscht, durch die Nacht kommandiert zu werden. Und im Papst-Text heißt es, dass dich dein Chmelar vor den Talkmaster Vera bringt und der Sender dich den Quoten übergibt und du ins Publikum geworfen wirst, wenn du dich nicht mit dem Palm versöhnst. Amen.

Phettberg spielt, und Österreich spielt mit, und prompt heißt es im Klappentext, dass wir es hier mit einem antipodischen Herrn Karl zu tun hätten. Willkommen im alternativen Österreichquiz. Frage: Von wem stammt der folgende Passus?: „Die Wiener Zeitungen sind ja die unnötigsten und verlogensten, die man sich überhaupt nur vorstellen kann. Die Wiener haben ja nicht einmal den Funken einer Ahnung, was eine Zeitung sein könnte. Die Wiener Zeitungen sind allesamt das Papier nicht wert, auf dem sie gedruckt sind.“

Richtig, zum dicken Bauch gesellt sich eine knollige Nase, die Thomas Bernhard heißt. Bezeichnende Koinzidenz, dass Phettberg von Verwandt- und Nachbarschaft Riassl genannt wurde. Der obig zitierte Text stammt nämlich von ihm, oder Franzobel, oder der Kunstfigur. Wie Phettberg ging auch Bernhard durch die Gazetten bzw. lief freiwillig durch, auch zu ihm fiel viel ein, trat das Attribut „krank“ in Verbindung mit dem Namen in stupender Häufigkeit auf. Und wie bei Bernhard findet sich auch im zweiten Text „Baracke“ ein Sprecher, der wiedergibt, was ihm ein anderer erzählt hat. Willkommen beim uneigentlichen Sprechen, beim Vexierspiel von Natur-Kultur. Das, was erzählt wird, ist eine klassische ländliche Tragödie, die auch in den Städten – in adaptierter Version – gerne aufgeführt wird: Die Menschenzernichtungsmaschinerie läuft und der, der sie durchgangen hat, erzählt. Von den Leuten, die sich selbst nicht mögen können und andere darum auch nicht. Da wird gebogen und gebrochen oder beides am besten zugleich. Weil der Schmerz der Quell des Humors ist, ist der Text natürlich auch sehr lustig. Darum ist er auch als Tragödie unterschrieben, und damit sind wir schon wieder bei der Knollennase. Ist es eine Tragödie? Ist es eine Komödie?

„Aber ich, ich bin sogar als Masochist gescheitert, wie ich überall gescheitert bin. Sogar für einen Perversen bin ich zu pervers – und zu penibel. Panisch auch. Das also, liebe Nachwelt, ist die Lage, ich bin ein Scheiterhaufen.“ Ja, das alles ist sehr witzig, wird serviert mit Kalauern und Sprachspielen und allem drum und dran. Ist ja auch von Franzobel. Oder Phettberg. Oder beiden. Lesen.

Franzobel Phettberg
Theaterstück und Prosa.
Wien: Edition Selene, 1999.
105 S.; geb.; m. Abb.
ISBN 3-85266-099-8.

Rezension vom 28.10.1999

Originalbeitrag. Für die Rezensionen sind die jeweiligen Verfasser:innen verantwortlich. Sie geben nicht notwendig die Meinung der Redaktion wieder.

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