#Lyrik

Poetische Werke

Ernst Jandl

// Rezension von Kristina Pfoser

Seit 1952, seit 45 Jahren, veröffentlicht Ernst Jandl Gedichte. 1985 erschienen seine „Gesammelten Werke“. An ihre Stelle treten jetzt die Poetischen Werke in zehn Bänden – von den „Anderen Augen“ (1956) bis zu „peter und die kuh“ (1996).

„er habe immer etwas zu sagen gehabt, und er habe immer gewußt, daß man es so und so und so sagen könne; und so habe er sich nie darum mühen müssen, etwas zu sagen, wohl aber um die art und weise dieses sagens. denn in dem, was man zu sagen hat, gibt es keine alternative; aber für die art und weise es zu sagen, gibt es eine unbestimmte zahl von möglichkeiten. es gibt dichter, die alles mögliche sagen, und dies immer auf die gleiche weise. solches zu tun habe ihn nie gereizt; denn zu sagen gebe es schließlich nur eines; dieses aber immer wieder, und auf immer neue weise.“

Auf der Suche nach diesen „neuen Weisen“ hat Ernst Jandl immer wieder neue Wege beschritten, er hat gezeigt, was Sprache sein kann. Von Anfang an hat er sich in den eher unbewohnten Gebieten der literarischen Landschaft, jenseits der herkömmlichen, bequemen Muster angesiedelt. Und nachdem viele Jahre vergangen und viele Widerstände überwunden waren, wurde seine Dichtung auch geschätzt.

In Wien, wo er 1925 geboren wurde, ist er aufgewachsen. Hier hat er Germanistik und Anglistik studiert, über Arthur Schnitzler dissertiert und als Lehrer gearbeitet, seit 1952 in den „neuen wegen“ veröffentlicht, 1956 den Gedichtband „Andere Augen“ herausgebracht, gemeinsam mit Friederike Mayröcker Kontakte zu H. C. Artmann und Gerhard Rühm von der Wiener Gruppe geknüpft, neue Schreibweisen ausprobiert. Die poetische Radikalisierung stieß auf das Unverständnis der „kulturellen Machthaber“. Daß sich Ernst Jandl den Umarmungen derjenigen entzog, die ihn – sein Talent erkennend – im Sinne des Kulturestablishments prägen wollten, daß er sich dem opportunen Geschmack widersetzte und sich nicht vereinnahmen ließ, das hatte damals böse Folgen. Aus Unverständnis wurde Ablehnung, aus Ablehnung bornierte Kritik, aus bornierter Kritik Repressionen und Skandale. Die schlimmste Begleiterscheinung aber war wohl die Isolation. Zehn Jahre mußten nach Erscheinen des ersten Gedichtbandes vergehen, bis mit „Laut und Luise“ der neue Ernst Jandl an die Öffentlichkeit treten konnte.

1966 war dann der Durchbruch gelungen – mit einer Poesie, deren spielerisches Experiment, deren Techniken, deren Witz und Pointe das Erlebnishafte der Sprache vorführten – einer Poesie, die zu Jandls Markenzeichen geworden ist.

Von „ottos mops“ über „wien: heldenplatz“ bis zu der Erkenntnis, daß lechts und rinks nicht zu velwechsern seien – eine ganze Reihe von Jandl-Texten haben es zu Klassikerehren gebracht, gehören zum festen Repertoire des Deutschunterrichts und sind auch für Kinder Leselust. „Was ich will, sind Gedichte, die nicht kalt lassen,“ schrieb er in einem „selbstporträt 1966“. Schon die frühen Texte waren Zeugnis dafür, wie artistische Ausdrucksmöglichkeiten radikalisiert und wie Themen aufgegriffen werden können, ganz gegen jedes Stillhalteübereinkommen. In den späten 50er bzw. frühen 60er Jahren war in Ernst Jandls Schreibstube nicht nur die Rede von „wien: heldenplatz“ oder von „schtzngrmm“ – Jahrzehnte vor allen angestrengten Be- und Gedenkjahren und hartnäckigen Österreichdebatten erinnerte er im Gedicht an gewisse „Ungenauigkeiten“.

Wo wird ein sogenannter „salopper Umgang mit der Vergangenheit“ so genau getroffen wie in dem Gedicht „sie sprechen kriegsverbrecher frei“? Ernst Jandl – das ist auch Reduktion, Verknappung, Askese: vom wohl kürzesten Naturgedicht „heu / see“ bis zum „spruch mit kurzem o“, der oft eine Jandl-Lesung – nach vielen erklatschten Zugaben endgültig beschließt. Dem ist nichts hinzuzufügen. Außer vielleicht: die Erinnerung an die anderen Jandls – allen voran der witzige, der Sprachspieler / Sprachclown / Buchstabenspieler / Wortejongleur / Klangclown – nichts ist stabiler als solche Klischees.
Aber – er selbst hat es immer schon gesagt: „Ich schreibe verschiedene Arten von Gedichten“. Als das Spaßvogel-Image ziemlich fest zementiert war, zeigte Ernst Jandl dem Publikum sein grimmiges Gesicht. Er schrieb von Vergänglichkeit und Alltag, von der Mühsal der Schreibarbeit, von Eros und Tod. In die Jandlsche Komik mischte sich Verzweiflung und Verstörung, Ulrich Weinzierl prägte den treffenden Begriff des „Depressionshumoristen“. Unbarmherzig werden Wahrheiten mitgeteilt, die man nicht gerne hört, wird an Banalitäten erinnert, werden Brüche und Schmerzen nicht ausgespart. Und dafür gilt: Kaum einer weiß Überdruß, Ekel und Verfall virtuoser in Worte zu setzen als Ernst Jandl.

„Dichtung sei, bisweilen, ein blutiges Geschäft, zwischen Selbstverletzung und Selbstzerfleischung“, bekannte Ernst Jandl bei seiner Büchnerpreis-Rede.
Er hat seine Leser nicht nur das Lachen, sondern auch den Schrecken gelehrt – wie Benedikt Erenz zum „selbstporträt des schachspielers als trinkende uhr“ in der „Zeit“ schrieb : „Ich hatte mich auf dieses Buch gefreut; auf das nächste freue ich mich nicht mehr, ich fürchte es.“

Das Lachen, das im Halse steckenbleibt, das Erstarren, die Irritation, … Ernst Jandl zu begleiten heißt, sich immer wieder von neuem auf ein Neues einzustellen.

Ernst Jandl Poetische Werke
Gedichte.
Hg.: Klaus Siblewski.
München: Luchterhand, 1997.
o.p.; brosch.
ISBN 3-630-86919-X.

Rezension vom 01.12.1997

Originalbeitrag. Für die Rezensionen sind die jeweiligen Verfasser:innen verantwortlich. Sie geben nicht notwendig die Meinung der Redaktion wieder.

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