Der Dilettant ist nur in der deutscher Sprache einer, dem die Qualifikation fehlt. Das italienische Wort „dilettare“ heißt vor allem, sich zu erfreuen. Und damit ist der Dilettant im eigentlichen Wortsinn einer, der frohlockt. In diesem Fall dann, wenn er metrisch gebundene Lobpreisungen oder emphatische Requien formulieren darf. Unbändig ist dabei des Preisredners Begehren, sich dem Hexameter hinzugeben. Thurnher versammelt mit diesem Band seine wiederkehrenden Affären mit dem antiken Versmaß, dessen Identität sechshebige Daktylen bilden. So werden aus den Preisreden Preisgesänge und aus den Affären eine öffentlich legitimierte Beziehung. Denn die Flüchtigkeit der Preisrede hebt das gedruckte Buch auf. Damit entsteht ein Anspruch auf eine Ewigkeit – wie bescheiden sie auch immer sein mag.
Der Klang belebt das Gedächtnis
Im Untertitel warnt das Buch Lesende, worauf sie sich einlassen: Reden und Nachreden in Versen heißt es da und man mag nicht recht daran glauben, ehe man diese Hymnen vernimmt. Der emsige Essayist und der kompromisslose Kolumnist als disziplinierter Dichter?! Es macht strategisch Sinn, denn in öffentlichen Reden der Würdigung muss die Rhetorik ihre ganze Kraft aufbieten. Das gelingt diesen Texten kongenial, auch wenn minimal invasive Eingriffe an manchen Stellen den Hexameter testend prüfen, um der Aussage das Vorrecht über die Form zu geben. Es ist schließlich eine gute Werbung für das unhintergehbare Recht, die Lyrik in den Mittelpunkt zu stellen. Aus gutem Grund haben die alten Griechen erkannt, dass die Melodie eines Textes einen entsprechend gewichtigen Einfluss auf das Echo hat; die umtriebige, tragische Nymphe, deren Sprachmacht nach Strafe verloren ging. Nur ihr Widerhall blieb. Aber genau den gilt es zu bewahren in einer Zeit tönender Vielstimmigkeit. Der so zelebrierte Preisgesang unterscheidet sich damit wohltuend von der krächzenden Stimme verführerischen Stammtisch-Parlandos.
Die Preisrede in Form des Hexameters werden manche als Manierismus abtun. Es scheint naheliegend, dass eine solche Textform sich in den Vordergrund spielt. Aber die Inhalte werden ja deshalb nicht preisgegeben. Diese Form fordert höchste Konzentration, die historisch-politischen Verweise aber ebenso, denn es sind überaus detailreiche Würdigungen. Etwa in der Rede auf Peter Huemer anlässlich der Verleihung des Concordia-Preises für das Lebenswerk am 3.5. 2017 im Parlament, bezieht Thurnher dessen Arbeit als Historiker über den Juristen Robert Hecht ein. Hecht war Sektionschef im Kriegsministerium der Ersten Republik und maßgeblich an der Sabotage der Demokratie Anfang der 1930er-Jahre beteiligt und verhalf Dollfuß zu seinem schicksalhaften Aufstieg. Die Komplexität politischer Umstände in einer Versform abzubilden, verdient Respekt. Die Reden bilden meist die Biografie in markanten Bezügen ab und schaffen es zugleich, die Quintessenz eines Werks zu benennen.
Verlustanzeigen der Zivilcourage
Beim Juristen Alfred J. Noll greift die Würdigung nicht nur formal auf die Schätze des antiken Griechenland zurück. Dessen Polemik Kein Anwalt für Antigone! (Czernin, 2008) setzt sich mit Rechtskonflikten um diese wild Umstrittene aus dem Sophokles-Drama auseinander. In der Preisrede gelingt es, diese Antigone auf zwei Seiten mit so aufgeladenen Themen wie Restitutionsfragen, Liberalismus und mit gefeierten wie angefeindeten Philosophen zu verbinden. Dank der Strophenform scheinen Themensprünge zulässiger als bei einer prosaischen Rede. Damit ist auch der dramaturgische Vorteil verbunden, in den meist nur wenige Seiten langen Texten möglichst viel an Preisberechtigtem des so Gepriesenen unterzubringen. Schließlich sind es Preisreden und nicht Preismonologe im Beckett’schen Sinn, obwohl das Absurde wie das Erhabene zu gleichen Teilen würdevoll vertreten sind.
Thurnhers Lob des langjährigen Wieser- und Drava-Verlegers Lojze Wieser, der erst vor Kurzem beide Verlage an seine Nachfolgerin Erika Hornbogner übergeben hat, besticht durch Bündigkeit. In der Rede wird der unbeugsame Verleger auch als Kritiker der verbeamteten „EU-Buchhalter“ bezeichnet; zugleich ist insbesondere die Reihe Europa erlesen ein Beleg für eine „europäische Union“ – jenseits administrativer Zuschreibungen – voll vitaler Kreativität.
Beim Zsolnay-Verlagsleiter Herbert Ohrlinger wiederum ist schon der Name Anlass für eine hexametrische Würdigung – schließlich kommt dieser daktylisch daher. Überaus witzig stellt Thurnher sich diesem als wenig verspielten Spondeus gegenüber. Wer sich durch diese Preisreden arbeitet – und dieses Wort ist berechtigt! – der wird bald den Eindruck gewinnen, dass es nicht Selbstgefälligkeit ist, Reden in Hexametern vorzutragen, sondern Spielräume eröffnet, die sonst nicht begangen werden können. Eher kann man der Sammlung vorwerfen, dass sie den ersten Eindruck hinterlässt, hier feiert eine Clique sich selbst wechselseitig ab.
Dank der Totenklagen verschwimmt dieser Eindruck jedoch. Denn diese Nachrufe weisen – obwohl auch streng subjektiv – über das verlegerische und literarische Feld hinaus. So wird etwa des Architekten Jan Tabor und des Kochs Reinhard Gerer gedacht. Manche dieser Würdigungen sind nicht anlässlich von Veranstaltungen entstanden, sondern erschienen zunächst in Thurnhers Blog Seuchenkolumne. Gerade die Nachrufe lassen ein Bild Österreichs der letzten dreißig bis vierzig Jahre lebendig werden, das eben auch ein Echo verdient. Es sind Nachreden im positiven Sinn. Der tiefgläubige Europäer Erhard Busek etwa, der in dieser Trauernachricht wie ein Exemplar einer ausgestorbenen Politiker-Spezies erscheint. Nicht Partei-Veteran, sondern Gestalter und deshalb vielseitig kommunizierend. Es ist eine „Welt von Gestern“, die da gewürdigt ist. Mit Willi Resetarits oder Werner Vogt – sozialdemokratisch beseelten Zivilcouragierten. Durch Thurnhers Stimme kommen Granden der Geisteswelt wie Hans Magnus Enzensberger und Rudolf Burger noch einmal zu Wort.
Zweifel und Wut
Im dritten Teil der Sammlung kommen gemischte Empfindungen über Ereignisse wie die einst so hohe Abstimmung zum EU-Beitritt Österreichs oder über jüngste Entwicklungen in Kakanien zusammen. Gemischte Empfindungen bestimmen auch den Schlusstext, der zwar Elegie auf mich selbst heißt, aber in erster Linie den epochalen Wandel durch den Krieg Russlands gegen die Ukraine beschreibt und als Seuchenkolumne 681 am 19.3.2022 die „Welt von Morgen“ im Nahkampf von Autokratie und Demokratie skizziert.
Wohin die Reise geht, lässt nichts Gutes erhoffen: „(…) Gewiss also ist mir mein / Mitleid. Und denk an die Welt ich, wird es nicht besser. Früher der / Tag begann mit ´ner Schusswunde, und heute schießt’s aus den / Medien jegliche Stund, und ist es auch eine Show, so / fließt doch am anderen Ende das Blut, werden Menschen vertrieben, (…)“ (S. 136)
Es sind eben vornehmlich Elegien, Klagelieder also, in denen der Hexameter leidlich zuhause ist.
Alexander Peer, geb. 1971 in Salzburg, Studien in Germanistik, Philosophie und Publizistik. Peer lebt heute als freier Autor in Wien. Zahlreiche Beiträge zu Literatur, Philosophie und Architektur.
Bücher (Auswahl): 111 Orte im Pinzgau, die man gesehen haben muss (Emons Verlag, 2022), Gin zu Ende, achtzehn Uhr, Der Klang der stummen Verhältnisse, Bis dass der Tod uns meidet sowie Land unter ihnen (alle Limbus Verlag) sowie Ostseeatem (Wieser Verlag 2008). www.peerfact.at