#Roman
#Debüt

Prinzip Ungefähr

Caspar-Maria Russo

// Rezension von Sabine Dengscherz

Masha studiert Medizin, Iggy will Filme drehen. Eine Weile drehen die beiden sich um einander, klauen Parmesan und Bücher, springen mal da, mal dort in ein Gewässer und tingeln durch Wien, Kärnten und Italien. In seinem Debütroman Prinzip Ungefähr zeichnet Caspar-Maria Russo ein schnoddrig-liebevolles Rollenprosa-Psychogramm einer Beziehung, in der eigentlich alles ganz einfach sein könnte – wenn es nicht so schrecklich kompliziert wäre.

Wenn Selbstironie eine Tugend ist, ist Masha, Caspar-Mario Russos Ich-Erzählerin in Prinzip Ungefähr, ein tugendhafter Mensch. Bescheiden ist sie auch, erwartet nicht allzu viel – zumal sie ohnehin nicht so genau weiß, was sie überhaupt will. Von Uetze (Niedersachsen) nach Wien ist sie jedenfalls gekommen, weil sie den Aufnahmetest für Medizin bestanden hat, und dann ist eben die logische Konsequenz davon, ein entsprechendes Studium anzufangen. Am Yppenplatz zu wohnen (der Markt, der Geruch, das Essen!), das wäre natürlich auch schön. Ansonsten lässt frau sich gerne auch einmal überraschen.

Masha ist gesprächig und offen, knüpft leicht Bekanntschaften, manche verlaufen schnell im Sand, aus anderen werden „Updatefreundschaften“ (bei sporadischen Treffen werden die wichtigsten Eckdaten ausgetauscht). Und dann gibt es natürlich noch die Dates mit irgendwelchen Männern, für die irgendwelche Plattformen irgendwelche Matches angezeigt haben: Schneller Sex, Streicheleinheiten für das Selbstwertgefühl, die eine oder andere Anekdote für später. Bei Iggy ist es anders, ganz anders. Analog und zufällig haben sie sich kennengelernt, Masha und dieser Igor Estragon Goldberg, der kleine Mann mit den roten Haaren, dem Schnurrbart und der beginnenden Glatze, der unbedingt bei dem bekannten österreichischen Regisseur Michael Haneke studieren und Filmemacher werden will. In ganz innigen Momenten machen die beiden sogar das iPhone aus.

Masha und Iggy haben viel gemeinsam: die Liebe zu Büchern und zu Parmesan, scusi, Parmigiano. Beide machen sich nicht viel aus Alkohol (außer, wenn sie gerade beschwipst sind oder es werden wollen). Beide klauen sie gerne einmal etwas (zum Beispiel Parmigiano oder Bücher). Beide mögen sie Italien. Beide hätten sie gerne mehr Geld (ein bisschen zumindest). Beide … okay, das alles hätte theoretisch vielleicht ein paar Matches gebracht.

Aber Iggy ist sowieso nicht auf diesen Plattformen. Und auch sonst sind Iggy und Masha sehr verschieden: Masha liest in zerfledderten Ausgaben, Iggy mag nur Hardcover und schützt seine schönen Bücher penibel. Masha lässt sich treiben, Iggy hat ein Ziel: er lebt für den Film. Masha gelingt so gut wie alles, was sie anfängt: egal ob Studium oder Aufriss. Iggy muss dauernd Absagen einstecken (kein künstlerisches Talent! heißt es in den harschen Briefen von der Filmakademie). Masha geht es meistens kühl an, Iggy tigert sich in alles hinein, in Bücher und Filme und in seinen Traum von der hohen Kunst. Masha tut und sagt, was ihr gerade einfällt, Iggy arbeitet dauernd an sich, seinem Auftreten, seiner Wokeness. Iggy ist Feminist, weil er es sein will.

Masha gibt den Ton an, ihr gehört die Stimme in diesem Roman, sie gibt die Perspektive vor. Wir springen mit Masha und Iggy in den Donaukanal und in den Wörthersee, sägen einen Baum im Augarten um, verticken billig gekaufte Möbel teuer weiter, nehmen Gläubige bei einer Weihnachtsfeier im Stephansdom aus (u. a. mit gefälschten Spenden-QR-Codes) und schleppen einen riesigen, fettigen Parmigiano-Laib in den Urlaub mit.

Hin und wieder begleiten wir Masha und Iggy auf die eine oder andere Party, bei der sie recht betrunken werden (weil sie ja sonst nie Alkohol trinken, das betont Masha immer wieder gerne). Wir folgen ihr durch die Stadt zu ihren diversen Datingplattform-Dates (alle nicht sehr wichtig), treffen ihre Freundin Nora (viel wichtiger) und lernen mit ihr Valeria kennen, die am Yppenplatz ein Feinkostgeschäft betreibt, wo es den besten Parmigiano gibt. Nach Mashas (ungefährer) Diagnose leidet Valeria an Hautkrebs, untersuchen lassen will sie aber nicht. Statt dessen fährt sie mit Masha und Iggy, zu ihrem Bruder nach Italien, der angeblich einen Arzt braucht, wenn auch nicht ganz klar ist, wofür.

Prinzip Ungefähr, das ist Mashas Blick aufs Leben. Prinzip Ungefähr, das ist auch das Motto der Beziehung zwischen Masha und Iggy: Iggy ist das personifizierte Prinzip Ungefähr, und Masha kann sich sowieso nicht festlegen. Zeit miteinander zu verbringen und miteinander zu schlafen kann so unverbindlich sein – selbst wenn es über Monate und Jahre geht. Da gibt es Momente, die zusammenschweißen, und Momente, die trennen. Man & frau wissen gleichermaßen nicht recht, woran sie sind.

Russo lässt Masha von alldem launig, pointiert und mit einer gewissen Distanz erzählen, und zwischendurch gerne auch mal andere zu Wort kommen, charakterisiert die, die Masha begegnen, durch die Art, wie sie reden. Am deutschländischen oder österreichischen Deutsch scheiden sich die Geister, und dann kann es schon einmal vernichtend heißen: Piefke! Beim Reden kommen die Leute zusammen – oder eben auch nicht.

Um den heißen Beziehungsbrei lässt sich wunderbar herumreden. Ansonsten kreisen die Gespräche um vielerlei, die Bandbreite reicht von der „Heterotopie des Subjekts“ (S. 33) und der „Reproduktion einer kapitalistischen Gesellschaft, die sich selbst auffrisst“ (ebd.) über Talgdrüsen- und Merkelzellkarzinome (S. 83) bis hin zu stinkendem Käse und Koffer-Klau-Versuchen (S. 162). Und wenn Mashas Mutter, die dauernd auf beste Freundin macht, wieder einmal über ihr Sexleben reden will, dann darf sie das auch im O-Ton tun.

Mashas eigener Ton hält das alles zusammen, obwohl – oder auch weil – sie selbst herummäandert, zwischen Zeiten, Menschen und Stimmungen, mal ist sie einfühlsam und nachdenklich, mal schnoddrig und oberflächlich. Sie hat viel Gespür für das Absurde, das Schrullige, für alles, was irgendwie cringe oder weird sein könnte, für schräge Situationen, Alltagsunfug, Widersprüchliches, Unausgegorenes … und Ungefähres. Setzt sie dann doch einmal ihr analytisches Seziermesser an, gelingt ihr das beinahe, ohne dass es allzu weh tut. Selbst wenn es um die ganz großen Fragen geht, um Liebe oder Tod. Da kann es schon einmal zum Heulen werden, aber niemals bierernst.

Witzig und rasant kreist der Roman um allerhand Widersprüche, um theoretische Höhenflüge, und diskursive Tiefen, die zwischen Buchdeckeln heraus in Gespräche schwappen, bis in die Identitäten von Figuren hinein, die sich so lange dekonstruieren, bis Oberfläche und Tiefgang nicht mehr zu unterscheiden sind. Unter Umständen ließe sich einiges aushandeln, wenn man & frau danach wäre, wirklich miteinander zu reden. Aber dann belässt man es doch lieber im Ungefähren. Aus Prinzip.

 

Sabine Dengscherz, geb. 1973 in OÖ, Schreibwissenschaftlerin, Schriftstellerin, Universitätslektorin. Studium der Germanistik, Kommunikationswissenschaft und Hungarologie, Venia für Transkulturelle Kommunikation und Mehrsprachigkeit. Forschung zu Schreibprozessen, Schreibstrategien und Kulturbegriffen. Mitglied der GAV. Lebt in Wien und Dénesfa. www.dengscherz.at

Caspar-Maria Russo Prinzip Ungefähr
Roman.
Salzburg: Residenz Verlag, 2025.
240 Seiten, gebunden.
ISBN 978-3-7017-1803-0.

Verlagsseite mit Informationen zu Buch und Autor sowie einer Leseprobe

Homepage von Caspar-Maria Russo

Rezension vom 27.01.2025

Originalbeitrag. Für die Rezensionen sind die jeweiligen Verfasser:innen verantwortlich. Sie geben nicht notwendig die Meinung der Redaktion wieder.

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