Mit dieser Abwertung des Sekundären kann sich ein Literaturkritiker naturgemäß nicht abfinden. Denn was auch immer seine Texte im einzelnen sein mögen – zur Sekundärliteratur zählen sie in jedem Fall, und ihre Aufgabe besteht in genau der Vermittlung und Popularisierung, die hermetischen Geistern anstößig ist. Deshalb nimmt Volker Hage seine Arbeit vor den kritischen Einwänden in Schutz und weist überdies nicht zu Unrecht darauf hin, dass auch die Kritiker des medial vermittelten literarischen Betriebs ohne Unterstützung der Medien keine Resonanz für ihre Thesen finden würden.
So weit, so wahr. Liest man nun die Rezensionen und Feuilletons, die Hage in einem Band mittleren Umfangs zusammengefasst hat, begegnet man manchen Stärken, aber auch einer Schwäche. Um mit den Stärken zu beginnen: Hage ist weiträumig belesen – das zeigt sich selbst in diesem Sammelband, dessen Hauptaugenmerk der west- und ostdeutschen Literatur des letzten Jahrzehnts gilt. (Österreich bleibt trotz einem Handke-Lob und einem Jelinek-Verriss von untergeordnetem Interesse.) Auch versteht er es, mit guten Argumenten in aktuelle Debatten einzugreifen. Im vorliegenden Buch ist seine Lust an Kontroversen vor allem durch seine Parteinahme für Christa Wolf dokumentiert, die sich nicht politischen, sondern literarischen Vorlieben verdankt. Schließlich scheut sich Hage nicht, Entwicklungslinien – oder Trends – zu einem Zeitpunkt zu benennen, an dem er noch das Risiko eingeht, vom weiteren Geschehen widerlegt zu werden. So ist beispielsweise fraglich, ob sich das „Fräuleinwunder“, das Hage in der neuesten deutsche Literatur entdeckt haben will, wirklich ereignet. Denn die Autorinnen, die der Kritiker unter diesem Etikett zusammenfasst, haben kaum mehr gemeinsam als die Geschlechtszugehörigkeit und das noch nicht sehr fortgeschrittene Alter. Doch ist klar, dass solche gewagten Tendenzmeldungen geeignet sind, das „Gespräch über Literatur“ in Gang zu halten. Dies um so mehr, als Hage, der erfahrene Mitarbeiter maßgeblicher Feuilletons, über eine journalistische Sprache verfügt, die dem Verständnis keine Hindernisse in den Weg legt und zugleich dem Unterhaltungsbedürfnis der Zeitungsleser Rechnung trägt.
Damit ist jedoch auch die Schwäche der gesammelten Kritiken angesprochen. Denn in seinem Bemühen um griffige Formulierungen bedient sich Hage zuweilen aus der großen Vorratskiste, in der die Gemeinplätze oder auch „Phrasen“ bereit liegen. In quintessenzieller Trivialität erklärt er seinen Lesern z. B., was Literatur „immer auch“ sei – nämlich „Rede über die Vergänglichkeit, Einspruch gegen den Tod, gegen das Vergessen“. Oder er konfrontiert sein Publikum mit der Behauptung, dass „alle bedeutenden Schriftsteller“ „im Grunde“ „sehr einfache Fragen“ stellen.
Derartige Verallgemeinerungen mögen einen wahren Kern haben oder auch keinen – in jedem Fall vermitteln sie das trügerische Gefühl des Bescheidwissens: Wer in der Zeitung liest, was „immer auch“ oder gar „im Grunde“ der Fall ist, braucht nach nuancierten Erklärungen nicht mehr zu suchen. Ein Feuilletonist, der wie Hage das „literarische Gespräch“ aufrecht erhalten will, sollte deshalb auf allzu vertraute Gemeinplätze verzichten. Doch ist das, wie jeder Journalist weiß oder wissen sollte, leichter gefordert als getan.