„oh, ein meer liegt im gedicht, michi! / es rauscht und knirscht mit den zähnen der haie, / dazu schlägt es wellen und dellen. / sanftmütige fische benagen moosige steine, / krabben schärfen die glänzenden scheren, / das meer im gedicht ist wie sand im getriebe, / dort, wo der haifisch die flosse / zum himmel erhebt, / und ich frage: wo sollen wir schwimmen / mit offenen augen gewitzt / und gewarnt / und gegen den wind?“ (S.5)
So lautet eine Strophe bei Ilse Kilic, Gefahr andeutend, während sich Michaela Hinterleitners lyrisches Ich längst auf den Haifisch eingelassen hat und nun – nicht ohne Ironie – das Resumée einer schmerzlichen Liebe zieht:
„was für ein gieriger Haifisch du stets warst. / geradezu darauf versessen, / dich in frisches fleisch zu versenken. / mein weiches fleisch mochtest du wohl, / aber meine zähne mochtest du nicht. // einreihig ist etwas für herzensanfänger, / hattest du gesagt. / (…) /und ich habe es verstanden. / was wusste ich schon vom leben. / ich dachte, ich hätte einen guten fang gemacht. / „mehrreiher, oha!“ / von dir wollte ich die liebe lernen. / mit bissspuren, wunden, blutverlust und allem, / was auf den wogen des wahren lebens dazugehört. / es geht doch immer darum, opfer zu bringen, / hatte ich gedacht, / da hast du dein opfer. / im namen der liebe / geht nichts ohne blutvergießen, / hattest du gesagt und hatte ich gedacht, / und mich krabbenverziert / auf deinen festtagsteller gelegt“ (S.8ff)
Michaela Hinterleitners Meeresbewohner sind zugleich Räuber und Opfer, zutiefst menschlich eben, so wie der Ausruf „aber ich habe dich doch geliebt“ im Untertitel dieses Gedichts. Eine „Herzensanfängerin“ und ihre Faszination für den mächtigen „Mehrreiher“ als bilderreiche Analyse der Kräfteverhältnisse in der Liebe und im Leben.
„Verbissen“ lautet übrigens der Titel des ganzen ersten Kapitels und und die Autorin zeigt wiederholt, welche Komik in dem übertragenen Begriff steckt, indem sie ihn wörtlich nimmt. Da wird herzhaft zugebissen, etwa von der mürrischen Muräne (sehr schön gezeichnet von Andrea Knabl ), die den nächsten Fisch, der vorbeischwimmt, kräftig in die Schwanzflosse beißt, einfach so, aus reinem Mißmut. „wenn sie nur wüsste, worauf sie wartet“. (S.20f)
In den weiteren Kapiteln „Vertieft“, „Verschwommen“ und „Vernetzt“ finden sich unterschiedlichste Themen und Textformen, von schwerelosen Glücksmomenten in den Armen der Krake „quatrobussi“ (gezeichnet von Tanja B. Pöltl) – „mit dir schwimm ich / schweb und gleit ich // solang du mir / mit frischer tinte / liebesbriefe schreibst“ (S.26) – bis zu einer spielerischen Hommage an Ilse Kilic und Fritz Widhalm im Prosastück „Sie nannten ihn Meerschwein“, in dem ein Schweinswal „fröhlich und flugs zur Florianigasse 54 hinaufschwimmt“, um dort im „Wohnzimmer“ bei Bier und Kuchen Platz zu nehmen. (S.51)
Das Kapitel „Vernetzt“ enthält auch explizit politische Texte, das mehrseitige Gedicht „weiße hemden“ etwa über unser heutiges Europa und seine Grenzen:
„weiße hemden. / blau angelaufen. / erstick-mich-spiel. / unter weißen laken. / der neue vorhang. // mit sauerstoff gebleicht. / viel frische luft über europa. / ‚ganz in weiß, mit einem blumenstrauß‘. / und tausend rosen an den grenzen. / ‚ja, wir haben auch unsere grenzen. / es tut uns leid.‘ / wirklich?“ (S.79).
Dieses Gedicht erinnert mit seinen Assoziationsketten und seinem Rhythmus an den Chor der „Schutzbefohlenen“ aus Elfriede Jelineks gleichnamigen Theaterstück. Das Meer als tödliche Grenze zwischen Arm und Reich formiert sich am Ende zur gigantischen Welle, zu einem Menschen-Tsunami, für den es keine Messstationen gibt, Europa ist „auf taub geschaltet“. (S.82)
Ähnlich funktionieren unsere Selbstschutzmechanismen bei Tierschutz- und Umweltthemen – das Gedicht „taiji in rottönen“ (S.84f) widmet sich der jährlichen Treibjagd auf Delphine in Japan, bekannt aus dem Dokumentarfilm „the cove“, aber international kaum beachtet.
Michaela Hinterleitner präsentiert in ihrem ersten Buch eine inhaltliche und stilitische Vielfalt, die abwechslungsreich ist, gleichzeitig sind die Texte von unterschiedlicher Dichte und Qualität. Offensichtliche Stärken der Autorin sind ihr Assoziationsreichtum und ihr sprachspielerisches Talent, einmal ist sie bissig-humorvoll, dann versonnen-poetisch. Und manchmal gelingen ihr kleine Portraits und Momentaufnahmen, die geradezu schweben, wie das Gedicht „tagtraum“ (siehe Leseprobe), wo die Autorin mit wenigen Signalworten und dem Rhythmus der Strophen ein Traumbild schafft, in dem man gerne verweilen möchte.
Neben dem Schreiben ist Michaela Hinterleitner auch als Puppenspielerin und Performance-Künstlerin aktiv. Wenn, wie Hermann J. Hendrich im Nachwort schreibt, „jedes neue buch eine abbildung meines lebens, meiner interessen, erwartungen und befürchtungen eines nun schon wieder vergangenen zeitraums“ ist, dann darf man gespannt sein, in welchem Genre diese vielseitige Autorin schließlich ihren „eigenen, unverwechselbaren stil der schreiberei“ (S.91) weiter entwickeln wird.