#Prosa

Rimbauds Kantine

Peter Enzinger

// Rezension von Florian Braitenthaller

Wenn im Titel einer Publikation der Name „Rimbaud“ auftaucht, werden Erwartungen der besonderen Art geweckt. In Peter Enzingers Prosagedicht Rimbauds Kantine, das als „Traumtagebuch eines todkranken Dichters – durch sein Hirn irrlichtern Fragmente eines imaginären Journals“ präsentiert wird, geht es nicht in erster Linie um Rimbauds Poesie, die etwa als Steinbruch verwendet wird, sondern um ein schwirrendes Wissen über Rimbaud, das die Textmaschine Enzingers in Gang bringt.

Enzingers subtiles Textkonglomerat ist keine psychologische oder biografische Auseinandersetzung mit Rimbaud, mit dessen Person und Werk, vielmehr glücklicherweise eine künstlich-konstruktivistische, eine, die tatsächlich auf sprachlicher Ebene funktioniert. Gespielt wird mit der Identität: Wenn uns beim Lesen ein „Ich“ begegnet, so ist zunächst einmal unklar, wer gemeint ist, Rimbaud oder das lyrische Ich des Autors, vielleicht auch das „Ich“ eines Dichters à la Poe oder Blake. Der Text ist eine Ansprache an oder Zwiesprache mit Arthur Rimbaud, im Kontext von Shelley, Lord Byron, aber auch Mandelstam, Pavese, Pessoa oder Goethe. In dieser Gesellschaft bewegt sich das „Ich“, ohne inhaltliche Bezüge herzustellen, die Konzentration auf inhaltlich konkret Fassbares ist aufgegeben zugunsten einer formal-lautlichen Textproduktion.

In mehr oder weniger kurzen Absätzen wirken die Texte wie Beschwörungen einer Situation: Rimbauds Biografie wird als Folie herangezogen, um kurze Gedanken- und Prosasplitter auf sie zu werfen. Manch ein Satz erscheint dabei wie lautmalerischer Spuk: „Wenn der Bussard im Feuer fleht, sind die nekrofilen Himmel offen und aus Stein.“
Die Semantik ist weitgehend aufgegeben, von Zeit zu Zeit blitzen aber Sätze auf wie dieser: „Und hinter tausend Buchstaben keine Welt.“ Im Allgemeinen dominieren Klang-Assoziations-Ketten, die in surrealistischer Manier ausgebreitet werden, biografische Kleckser, Spiele mit Zufallswörtern. „Da! Ein Game of Chess am Küchentisch, High Noon. Sitzt da nicht Henry Fonda mit John Ford, der einäugig grummelnd mit schwarzer Augenbinde das einbeinige Leben des Wörteraffen verfilmen will? Aber Rimbauds Leben hat es so nie gegeben. Nur die Wörter haben sein Leben erfunden.“

Einprägsame Bilder und Fakten wechseln mit Banalitäten und Seltsamkeiten ab, vieles gemahnt an Binnenreimakrobatik, die Gefühle ausspart – bemerkenswert, diese Absenz jeglicher Emotionalität.
Die Sätze verweigern größtenteils den Sinn, ihre Genese ist auf klangmalerische Assoziationen und Silbenähnlichkeiten zurückzuführen, wie zum Beispiel: „Die Ardennen abends und die Antennen und die Tennen zeigen Richtung Aden abends.“ So werden die Seiten gekonnt mit bewundernswertem Un-Sinn dekoriert.

Enzinger, so der Verlag, „rückt dem ‚Sprachgefängnis‘ im ‚Metafernsumpf‘ zwischen Verstummen, Wahnsinn, Ichauflösung, Sprachzweifel, Sucht usw. seinerseits mit dem Rüstzeug traditioneller wie aktueller poetischer Verfahren (Cut-ups, Reihungen, Reimen, Assonanzen, Alliterationen etc.) auf den Sprachleib.“
Tatsächlich sind diese poetischen Verfahren das Ereignis, die es hier zu bestaunen gilt.

Peter Enzinger Rimbauds Kantine
Prosagedicht.
Wien: Klever, 2009.
110 S.; brosch.
ISBN 978-3-902665-08-9.

Rezension vom 18.05.2009

Originalbeitrag. Für die Rezensionen sind die jeweiligen Verfasser:innen verantwortlich. Sie geben nicht notwendig die Meinung der Redaktion wieder.

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