#Sachbuch

Ringel-Ringel-Reigen

Gerd K. Schneider, Peter Michael Braunwarth (Hg.)

// Rezension von Evelyne Polt-Heinzl, Christine Schmidjell

Als Arthur Schnitzler seinem Verleger Samuel Fischer 1897 ein neues Manuskript schickte, reichte der es zunächst einmal an seine Hausjuristen weiter. Damit war die unendliche Geschichte der Verquickung von Literaturkritik und Gerichtssaalberichterstattung in der Causa „Reigen“ eröffnet.

Fischer wollte nichts riskieren und empfahl dem Autor den Text als Privatdruck zu publizieren. So geschah’s auch, allerdings erreichte der „Reigen“ schon als „unverkäufliches Manuscript“ (Auflage 200 Stück) eine unübliche Publizität und wurde 1900 von Alfred Kerr sogar in der „Neuen deutschen Rundschau“ rezensiert. 1903 wagte sich dann der Wiener Verlag, der mit seinem zum Teil recht freizügigen Programm an Auseinandersetzungen mit der Zensurbehörde gewöhnt war, an eine Ausgabe, und der kommerzielle Erfolg gab ihm recht. In acht Monaten waren 14.000 Exemplare verkauft. Schnitzlers „Reigen“ etablierte sich unglaublich rasch als eine Art Trademark; einschlägige Bars und Revuen wurden dannach benannt, 1920 brachte der Berliner Borngräber Verlag einen galanten Almanach mit dem Titel „Reigen“ heraus und legte in der Folge bis 1928 die drei mal jährlich erscheinende Zeitschrift „Reigen. Blätter für galante Kunst“ vor. Die großen, von treudeutsch-antisemtischer Seite effektvoll inszenierten Skandale rund um die Berliner Uraufführung im Dezember 1920 und die Wiener Inszenierung im Februar 1921 haben dem Absatz des Periodikums wohl nicht geschadet.

Wie es bei Medienereignissen oft zu sein pflegt, ließen Formen sekundärer Verwertung nicht lange auf sich warten. Zwei penible Schnitzler-Forscher haben sich nun daran gemacht, die zum Teil anonym und versteckt erschienenen „Reigen“-Parodien zu sammeln. Dass so einem schmalen Band jahrzehntelange Forschungen zugrunde liegen, kann man nicht übersehen: Gerd K. Schneider hat 1995 eine mehr als 600 Seiten umfassende Dokumentation zur „Rezeption von Arthur Schnitzlers Reigen 1897 – 1994“ vorgelegt, und Peter Michael Braunwarth war u. a. über viele Jahr lang an der Edition von Schnitzlers Tagebüchern und Briefen beteiligt.

Was die Sammlung der zwölf „Reigen“-Parodien aus den Jahren 1903 bis 1931, mit einer deutlichen Klimax rund um die Aufführungsskandale 1920/1921, als „Gesamttext“ gelesen deutlich macht, sind die Potentiale von Schnitzlers Stück und die darin ausgelegten Fallstricke für die breite Spur von Missverständnissen und Unverstand, die den Rezeptionsweg säumten. Denn aus der mechanistischen Versuchanordnung, mit der Schnitzler zehn Liebespaare nach einander zum Liebesakt zusammenführt, lässt sich sehr Unterschiedliches herauslesen und akzentuieren.

Wer nur das sexuelle Abenteuer sieht, dessen Vollzug Schnitzler hinter der berühmten Gedankenstrichzeile verbirgt, die jede Szene in zwei ungleiche Hälften teilt, hat von der Komposition des „Reigen“ wenig begriffen oder knüpft ganz bewusst an die skandalisierenden Debatten über die „sittliche Verwerflichkeit“ des Stücks an. „Der anonyme Reigen“ (vermutlich 1903), der den Band eröffnet, zeigt das am besten; Er verzichtet völlig auf das Strukturprinzip des Reigens, nimmt eine beliebige bzw. besonders klischeehafte erotische Begegnung (Lieutenant / Frau Oberst), schreibt sie recht ordinär und direkt auf die Gedankenstriche zu und hängt ein kurzes Danach an. Auch die ebenfalls anonymen „Duo-Szenen im Dampfbad“ (1903) tragen den Untertitel „Ringel-Reigen-Rosenkranz nach berühmtem Muster von einer Wienerin“ mehr aus Reklame-Gründen. Die Gedankenstrichzeile markiert hier allenfalls das Ende einzelner Szenen, die „erotische Aufladung“ borgt sich der holprige Text eben von der Titelanspielung und vom Handlungsort; Damenbäder waren immer schon ideale Szenarien, multiple weibliche Nacktheit ebenso zu evozieren wie „intime“ Gespräche über weibliche Geheimnisse und Ausschweifungen. In die dummdreiste Ecke gehört auch Arthur Sakheims „Reigen. Ein Zwischenspiel. Ehemals von Arthur Schnitzler“ (1920/21), das dem Autor unterstellt, aus Geschäftsgründen den Skandal bewußt intendiert zu haben, hier wird eigentlich nicht der „Reigen“ parodiert, sondern sein Autor diffamiert.

Etwas analytischer mit der Entstehungsgeschichte beschäftigt sich Oskar Staudigls Text „Auch ein Reigen“ (1904), der die – nur kontextuell präsente – erotische Begegnung mit der Intervention für das neue Stück des Dichters verschränkt. Beginnend mit dem Dichter und dem süßen Mädel treten in zehn Szenen alle Figuren des Schnitzlerschen „Reigen“ auf, und alle Frauenfiguren intervenieren bei ihren jeweiligen Partnern in irgendeiner Form für die Publikation des Textes. Das wäre abstrakt keine schlecht Idee, endet allerdings doch recht moralinsauer: In der Schlusszene Dichter / Dirne verwirft die Dirne das Stück und diktiert dem Dichter ein neues – den „Reigen“. Subtext: der „Reigen“ ist eher keine Literatur, sondern eben eine Schweinerei.

Auffällig viele der Parodien thematisieren weniger den „Reigen“ als Text, sondern den Kampf um den „Reigen“, die Zensurmaßnahmen und die Theaterpraxis. Am gelungensten ist hier Stefan Großmanns kurzes Dramolett „Haenischs Reigen“ (1921), das das Verbot der Berliner Aufführung und das mutige Vorgehen der Regisseurin Gertrud Eysoldt szenisch darstellt, die trotz einstweiliger Verfügung spielen ließ und sich dafür dann vor Gericht zu verantworten hatte. In unmittelbarer Reaktion auf die Wiener Tumulte, die erst zwei Wochen nach der Premiere ausbrachen, entstand „Der rosen-rote Reigen“ von „Max und Anatol“ (1921), wie auf dem Typoskript zu lesen ist, das die beiden Herausgeber im Niederösterreichischen Landesarchiv aufgestöbert haben. Auszüge aus Schnitzlers Text werden hier für den Zensor umgeschrieben. Diese Parodie wurde im März 1921 drei Mal im Theater an der Josefstadt aufgeführt. Attilo Bleibtreu lässt in seinem Stück „Rund um den Reigen“ (1921) den Gedankenstrich selbst auftreten. Mit vielen Anspielungen auf klassische Zitate – u. a. singt er Paraphrasen auf Goethes „Gretchen am Spinnrad“ und Raimunds „Hobellied“ – versucht der Gedankenstrich seine Unschuld zu beteuern. Auch das „Reigen-Ereignis“ (1921) von Homunkulus (d. i. Robert Weil) setzt beim Theatererlebnis an, um den Vorwurf der Sittengefährdung reichlich plump in das Lob der erotischen Anregung umzudeuten; ganz ähnlich eine anonyme Szene „Die junge Frau und der Moralist“ (1921). Am deutlichsten mit Schnitzlers zentralem Thema der Doppelmoral arbeitet Richard A. Bermanns „Ringel-Ringel-Reigen“ (1921), der in vier kurzen „Umschriften“ zu Schnitzlersschen „Reigen“szenen reales Verhalten und moralische Entrüstung aufeinanderprallen lässt.

Von den mitunter allzu simplen Paraphrasierungen hebt sich der „Parlamentarische Reigen“ (1903) von P. Alland auf seine Weise ab: Er „interpretiert“ den „Reigen“ primär als Kommunikationsmodell – was schon bei Oskar Staudigl anklingt, wo das die Szenen übergreifende Thema weniger die erotische Begegnung der Paare, denn die Verständigung über das Manuskript des Dichters ist. Im „Parlmentarischen Reigen“ wird das erotische Moment völlig ausgeklammert, und das „Anstößige“ der Dialoge in das verantwortungslose Intrigieren der Politiker verlagert.

Literarisch fallen alle diese Texte kaum ins Gewicht. Sie entstanden spontan und anlassbezogen, Ziel war ein unmittelbarer Kommentar zu tagesaktuellen Debatten, der Ort der Texte das Feuilleton und diverse Magazine. Als Phänomene der zeitgenössischen Rezeption sind sie dennoch eine informative Lektüre; sie spiegeln die Bandbreite der Reaktionen wider und vermitteln einen unterhaltsamen Einblick in die „Stimmung“ und den „Zeitgeist“, die Schnitzlers Werke vorfanden.

Gerd K. Schneider, Peter Michael Braunwarth (Hg.) Ringel-Ringel-Reigen
Parodien von Arthur Schnitzlers „Reigen“.
Wien: Sonderzahl, 2005.
159 S.; brosch.; m. Abb.
ISBN 3-85449-239-1.

Rezension vom 29.01.2006

Originalbeitrag. Für die Rezensionen sind die jeweiligen Verfasser:innen verantwortlich. Sie geben nicht notwendig die Meinung der Redaktion wieder.

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