#Prosa

road movies

Bettina Balàka

// Rezension von Petra Nachbaur

9 versuche aufzubrechen.

„Weibliche Mobilität“ ist ein Thema, das sich naturgemäß von Anfang an durch die Frauenbewegung zieht – und eines, das in den letzten Jahren als facettenreiches Motiv (auch in assimilierter Weise) in verschiedenen Medien immer stärker präsent ist. Zum einen wird die Neu- und Wiederentdeckung der Reiseliteratur von Frauen forciert. Zum anderen gibt es beispielsweise im Film einen konstanten und auch publikumswirksamen Trend zur Darstellung weiblicher Aufbruchsphantasien.

Durchbrennen, abhauen, verduften, untertauchen sind verbindende Sehnsüchte, die in verschiedenartigen Dosierungen von Anarchie und Freiheitsdrang in die Tat um- bzw. ins Bild gesetzt werden. Da gibt es den lustvollen Aus- und Aufbruch von Komplizinnen wie „Thelma and Louise“ oder den „Bandits“. Da gibt es aber auch Einzelgängerinnen, deren Fremdheit sie erst recht im Aufbruch unbehaust läßt wie die Landstreicherin in Agnes Vardas „Sans Toit ni Loi“ oder „Suzie Washington“, Heldin des neuen gleichnamigen Filmes, der als „österreichisches Roadmovie“ gepriesen worden ist.

Die junge Autorin Bettina Balàka hat – so scheint es auf den ersten Blick – nach ihren „Krankengeschichten“ (1996) inhaltlichen Schwerpunkt und Medium gewechselt – auf das Kranksein folgt das „On the Road“-Sein, auf die Geschichten folgen die „Movies“. Assoziiert werden mit diesem Wandel zunächst wohl positiv besetzte Momente wie Abenteuer, Dynamik und Geschwindigkeit. Doch so, wie in ihrem ersten, ebenfalls bei Droschl erschienenen Erzählband der Titel unter Anführungszeichen gesetzt ist und eher das medizinische Protokoll als die Erzählung anklingen läßt, sind auch die bewegten Bilder der vorliegenden „Movies“ leise relativiert durch den Untertitel „9 versuche aufzubrechen“ – Versuche tragen bekanntlich sowohl die Möglichkeit des Glückens als auch die des Mißlingens in sich.

In neun Texten entwirft Balaka neun sehr unterschiedliche Frauenfiguren, die von ihren diversen Sehnsüchten am Funktionieren erhalten werden. Aufgerieben von familiären Belastungen und konventionellen Lebensformen, ausgeliefert dem alltäglichen Wahnsinn von Gewalt und Schmerz, der Monotonie von Hausarbeit und Heimarbeit, in Abhängigkeitsverhältnissen materieller oder subtilerer Art, taumeln die Protagonistinnen eher unbeholfen durch ihren Kosmos potentiellen Entrinnens. Sarkastisch und kritisch weist Balàka auf die Verlockungen der Passivität hin, wenn sie schon zu Beginn des Bandes eine ihrer Ich-Erzählerinnen bemerken läßt: „ich hatte geglaubt, daß das mitgenommenwerden zum aufbruch genügt.“ (S. 9)

Nach der Lektüre des Buches bleibt von den assoziationsstarken „Road Movies“ aus dem Titel ein bitterer, düsterer Nachspann. Stagnation und Resignation sind der Tenor des oft traurigen und dunklen Erzählens und Beschreibens. Eine Stärke der Protagonistinnen ist es jedoch, daß sie nicht larmoyant und wehmütig ihr Scheitern beklagen, sondern ihre Lage sowie ihre eigene Unfähigkeit, sie zu verändern, zumindest recht luzide durchschauen. „ich bin auf der jagd nach draußen, die beute scheint aber gering.“ (S. 27) bemerkt die eine lakonisch; an anderer Stelle heißt es: „ich bin wieder da um vier in den wänden, obwohl ich ausgegangen war, und davon ausgegangen bin, daß alle wege zu bewegen sind: ich habe nur eine nicht einmal innere reise gemacht.“ (S. 16)

Obwohl gelegentlich ein wenig prätenziös, ein wenig gar zu poetisch, besticht Balàkas Sprache immer wieder durch überraschende, ungewöhnliche Wendungen, wenn sie Idiome kippen läßt, Spiele mit Homophonen („shower-märchen“, S. 113, „kory- fee“, S. 114) anstellt oder bezeichnende Bedeutungsverschiebungen zwischen den Sprachen aufdeckt: „[…] on the road again ist nicht das gleiche wie wieder auf der Straße“ (S. 48). – Und auch „Movies“ begleiten unterschwellig den Text: Mit gekonnten Verfremdungseffekten eingewoben, finden sie sich als Zitate wie „obskure objekte der zierde“ (S. 64) oder „zucker! gib dem affen die hölle“ (S. 76). Die bemerkenswerte Dichte der Textnetze entspricht der Auswegslosigkeit, der Verstricktheit der in ihren komplexen Labyrinthen verfangenen Protagonistinnen.

Manchmal in der Nähe des Märchens, des mittelalterlichen Epos oder der Heiligenlegende angesiedelt, manchmal ganz nahe am sozialen Realismus und mit starken Gegenwartsbezügen, schreibt sich Balàka an den Grenzen des „hier“ und des „woanders“, des „drinnen“ und des „draußen“ entlang. Die Bewertung der Polaritäten bleibt offen. Entgegen den Vorstellungen, die der Titel suggeriert, wird auch der so verheißungsvolle Aufbruch in seiner Fragwürdigkeit, seiner Klischeehaftigkeit entlarvt: „wie das aus-land lockt – wie es als köder wirken soll, sofern es fern ist.“ (S. 87). Aufklärung und Abgeklärtheit werden jedoch auch als Entzauberung deutlich. Dem unbelasteten Kind war es in aller Naivität und ohne das Wissen „von kzs, von oberwart, von sinti und roma“ (S. 65) noch möglich, sich durch eine Verkleidung zu befreien und „eine zigeunerin zu sein, diese UNGEBUNDENHEIT“ (S. 65)

„die fährnis der vögel und züge (6. versuch)“ hinterläßt gerade durch seine Abstraktheit und Allgemeinheit den stärksten Eindruck. Ohne Eigennamen, ohne Einzelschicksal, ohne individuelle Züge – abgesehen von eingestreuter US-amerikanischer Topographie – werden diverse Fortbewegungsmöglichkeiten und damit verbundene Rollenzuschreibungen und Wahrnehmungsmuster auf ihre Tauglichkeit hin untersucht.

Im letzten der Texte wird die amerikanische Autorin Sylvia Plath (1932-1963) angesprochen: „[…] warum noch viel älter als sylvia plath, sprich weiter, sprich weiter, sonst verstocken wir uns. fahren wir fort? fahren wir fort!“ (S. 114). In einem ihrer berühmtesten Gedichte, „Lady Lazarus“, schreibt Plath: „And like the Cat I have nine times to die“. Vielleicht sollten Balàkas Prosatexte in diesem Licht gelesen werden als Antithese zu Plaths neun Anläufen zu sterben, als „9 versuche fortzufahren“, im konkreten Sinn des Aufbruchs, vor allem aber im nichts beschönigenden Sinn des elementaren Weitermachens, des Überlebens.

Bettina Balàka road movies
Prosa.
Graz, Wien: Droschl, 1998.
106 S.; geb.
ISBN 3-85420-483-3.

Rezension vom 27.04.1998

Originalbeitrag. Für die Rezensionen sind die jeweiligen Verfasser:innen verantwortlich. Sie geben nicht notwendig die Meinung der Redaktion wieder.

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