Diese Textstrecken bringen ein Alphabet zum LCB – das ist aktuell im Zeichen gesamtgesellschaftlicher Orientierungslosigkeit zwangsläufig ein Konzept mit einem gewissen Bart, wer greift heute nicht auf das Alphabet zurück, um irgendwie nachvollziehbare Ordnungen herzustellen. Aber Das Literarische Colloquium Berlin in Wort und Bild, so der Untertitel, ist sympathisch und mit sichtbarer Liebe gestaltet. Viele AutorInnen wurden angeschrieben, über 100 haben geantwortet und zu vorgegebenen oder erfundenen, jedenfalls aber alphabetisierbaren Stichworten kleine Beiträge geliefert. Es sind vielleicht nicht immer die bedeutendsten Namen, aber alle Wortspenden sind von großer Zuneigung getragen, viele kommen von dankbaren StipendiatInnen der allerjüngsten Generation.
Das Ergebnis ist entsprechend bunt und vielseitig. Viele Einträge sind witzig und ergeben mitunter auch lesenswerte Kommentare zu Phänomenen des Betriebs. Eine „Autorenbiographie“, schreibt etwa Thilo Bock, „muss mindestens zwei Wohnorte aufweisen, möglichst unterschiedlich, möglichst exotisch. Wer aus Hoyerswerda stammt, als Leichenwäscher, Literaturagent und Nachtwächter gearbeitet hat und in Bad Godesberg und Kalkutta lebt, muss sich über seine Zukunft im Literaturbetrieb keine Sorgen machen.“ (S. 45)
Die Bandbreite der Einträge reicht von A wie Ablenkung (Thilo Bock) – aber auch Altherrenerotik (Larissa Boehning) – bis zu Z wie Zigaretten (Judith Hermann) und Zusammenarbeit I und II (Bernd Cailloux, Katy Derbyshire). Das Phänomen des aussterbenden Nikotin-Konsums im Umfeld des LCB ist als historische Größe unter einer Reihe weiterer Stichworte zu finden, wie Aschenbecher (Norbert Niemann) oder Raucherhusten (Arno Geiger). Unüberbietbar ist die Rampensau (Annette Mengels), die auch unter den Stichworten Wildscheine I und II (Kerstin Hensel, Marion Poschmann) sowie Wildschweinalarm (Björn Kern) einen Auftritt erhält.
LCB-Unkundige erfahren in dem Band eben auch eine Menge Details über Eigenart und Topografie des Ortes, Anfahrtskalamitäten, fehlende Badestege oder die Spinnenplage samt praktischer Tipps, wie damit zu verfahren sei: Marcel Beyer überlegt wegen ihrer Größe, ob er nicht ein Fütterungsprojekt ins Auge fassen sollte, Tanja Kummer hingegen rät eindeutig zum Taski-Staubsauger (S. 164). Büchersammler können den Eintrag Stuhlfotos (Joachim Sartorius) als Kommentar zu den Covers der legendären LCB-Buchreihe lesen und auch die Kulturgeschichte des Wasserglases bei Lesungen wird mit zwei Einträgen abgedeckt. Was aber ein Werk in Zeiten von Vorlass-Käufen eigentlich definiert, klärt Daniela Dröscher: „Das Werk ergibt sich aus all dem Geschriebenen und Aufgetippten, das als zum Werk dazugehörig erklärt wird. Nicht dazu gehören: Einkaufszettel, Weihnachtswunschlisten, Textnachrichten, Emailgrüße, Rechnungen, Mahnungen, Schönschreibübungen, erste Schulhefte.“ (S. 177) Auch das ist als praktischer Hinweis lesbar – für AutorInnen wie ArchivarInnen.